Verfügung > Zum Kriterium der »Erreichbarkeit« bezüglich der kontextuellen Logik

Bezüglich der Nutzung und Reaktivation von Medien mit kontextueller Logik lässt sich als wesentlicher Einfluss auf die Erfahrung im Subprozess der Verfügung das zum Erreichen des Mediums notwendige Bemühen hervorheben. So ist ein Theaterbesuch für Stadtbewohner relativ leicht ohne weite Anfahrten zu realisieren. Findet allerdings nur eine Vorstellung statt, ist langes Anstehen für die Karten oder den Einlass nötig. Als Bedingungen für die Erfahrung im Subprozess der Verfügung werden daher besonders räumliche und zeitliche Distanzen empfunden. Die Qualität dieser Empfindung wird durch das Kriterium der Erreichbarkeit erfasst.

Hierbei sind zwei Akzente hervorzuheben. Erstens wirkt es positiv auf die Erfahrung, wenn möglichst viele kontextuelle Medien im Nahfeld zur Verfügung bereitgehalten werden und im Prinzip jederzeit erreichbar sind. Dieses Gefühl der Erreichbarkeit für eine größere Zahl von Menschen in ihrem Lebenskontext zu realisieren, ist eine wesentliche Aufgabe für das situative Potential von Design. Zweitens kann komplementär zu der Erfahrung der Erreichbarkeit bezüglich den kontextuellen Medien die Erreichbarkeit der eigenen Person seitens des Lebensumfelds miterfasst werden. Diese doppelte Problematik des Kriteriums der Erreichbarkeit und des darauf abgestimmten situativen Potentials von Design behandeln die unten angeführten Beispiele.

Ein weiterer Akzent zu diesem Kriterium, der kurz angeführt werden soll, betrifft das Erleben von alltäglichem als dem jederzeit Erreichbaren und dem Besonderen als demjenigen, dessen Erreichbarkeit Mühe erfordert. Beispielsweise gehört es zum Marketingkonzept von Ikea, auf der grünen Wiese zu bauen, weil die Kunden nach der langen Anfahrt und den überwundenen Mühen eher bereit sind, einen Kauf zu tätigen und nicht erfolglos zurückfahren wollen. Unter diesem Akzent kann das situative Potential von Design dem Kriterium der Erreichbarkeit dadurch entsprechen, dass das endlich erreichte und zur Verfügung stehende kontextuelle Medium dem Aufwand gerecht wird. Wie schwer es ist, solche Erwartungen einzulösen, zeigt der Einbruch des Musical-Unternehmens Stella. Einige aufwendige Produktionen konnten nicht genügend Besucher anlocken, um ihren Betrieb effizient fortsetzen zu können. Das Konzept, allein schon durch die Anreise per Bus oder Bahn mit Familie, Freunden oder Vereinen mit beizutragen, den Musicalbesuch zu einem besonderen Ereignis werden zu lassen, ging nicht in allen Fällen auf.

Beispiel für das situative Potential von Design

Auch im Bereich der visuellen Kommunikation ist das Kriterium der Erreichbarkeit durch das situative Potential von Design zu beachten. So sollten Hinweisschilder innerhalb Ausstellungen schon aus einer größeren Entfernung lesbar sein, damit ein Besucher je nach Wunsch die Durchgangsrichtung verändern kann. Sind die Schilder erst zu lesen, wenn der Besucher direkt vor ihnen steht, ist er gezwungen, sehr nahe auf sie zuzugehen. Dadurch verliert er leicht die bereits selbst gewonnene Orientierung im Raum und folgt womöglich etwas irritiert den Angaben des Schildes. In dieser Hinsicht fällt das von Neville Brody entworfene Leitsystem der Kunsthalle der BRD in Bonn negativ auf.

Das Kriterium der Erreichbarkeit nimmt in Konzepten zum Wohnen in der Zukunft einen hohen Stellenwert ein. Riesige, hoch gebaute Wohnkomplexe könnten dazu beitragen, die unerwünschte Zersiedlung der Landschaft zu stoppen und Menschen die Vorteile eines Lebenskontextes zu bieten, der alle wichtigen Medien zur Nutzung und Reaktivation bei Bedarf zur Verfügung hält. Wohnen und Arbeiten, Freizeitgestaltung, medizinische Versorgung, das Einkaufen und die Ausbildung, alle diese menschlichen Lebensbereiche sollen nach den Plänen japanischer Architekten in einem nach heutigen Maßstäben überdimensionalem Hochhaus integriert werden. Binnen etwa fünf Minuten wäre jeder Ort in dem Haus mittels Fahrstühlen, Rolltreppen oder Laufbändern zu erreichen. Die Bewohner müssten im Grunde diesen Lebenskontext nicht mehr verlassen.

Das Pendant zu diesem Gedanken, der dem derzeit favorisierten westlichen Lebensgefühl, zu dem untrennbar das Reisen gehört, nicht entspricht, ist die Vorstellung von einer freien, ortsungebundenen Beweglichkeit, einem modernen Nomadentum. Aufgrund der Telekommunikationstechnologie ist es im Prinzip möglich, jeden Ort auf der Welt zu jeder Zeit zu erreichen, ohne selbst ortsgebunden zu sein. Denn durch die mobile Telekommunikation schrumpfen die Bedingungen von Raum und Zeit hinsichtlich der Reaktivation kontextueller Medien ebenso, wie umgekehrt auch bezüglich der Erreichbarkeit einer Person. Inzwischen kann die permanente Erreichbarkeit bereits durch die Vergabe von personenbezogenen Nummern auf Lebenszeit garantiert werden. Dies hat auch für das Service-Design Konsequenzen. Zur Zeit ist es noch üblich, eine Hausbank, ein Ärztezentrum und wenigstens Geschäfte zur Nahrungsmittelversorgung am Wohnort zu haben, die Geschäftspost am Schalter abzuliefern, den Handwerkbetrieb aus der Nachbarschaft mit Reparaturen zu beauftragen, täglich zur Arbeit zu fahren oder in die Schule zu gehen usw. All dieses könnte in Zukunft völlig anders gestaltet werden, weil die mobile Internetechnologie neue Serviceleistungen ermöglicht und alte ersetzt oder verdrängt.