Ausübung > Zum Kriterium der »Variabilität« bezüglich der organischen Logik

Im dritten Subprozess im Teilprozess der Reaktivation, der Ausübung, kann sich aufgrund von Eigenininitiative die Kompetenz zum virtuosen, Varianten erzeugenden Umgegen mit organischen Medien entwickeln. Zwar sind durch diese Kompetenz die bedingenden Zwänge der Medien nicht zu beseitigen, sie trägt aber zu einer befreiten, von positiven Gefühlen begleiteten Interaktion mit ihnen bei. Diese gefühlsmäßige Qualität der Erfahrung während dem Subprozess der Ausübung wird mittels dem Kriterium der Variabilität untersucht.

Organische Medien sind zwar immer durch das Individuum konkretisiert, aber sie entfalten sich in Abhängigkeit von den Wertmaßstäben innerhalb der sozialen Eingebundenheit und der vorherrschenden Orientierung an einem sozialen Strukturtyp. Wenn in einem sozialen System statische Werte wie die Identität, welche eine Person verkörpert oder die gesellschaftliche Position, welche eine Person einnimmt, Vorrang haben, so stehen die gezielte Erarbeitung und Sicherung von diesem Status im Vordergrund der Nutzung und Reaktivation von einmal aktivierten und manifestierten Medien. Flexibilität im Verhalten wird nur im Falle der geglückten Statussteigerung belohnt, aber das damit verbunden Risiko bleibt dem einzelnen überlassen. Kann dieser nicht auf Sicherheiten zurückgreifen, so wird er versuchen, das Risiko gering zu halten und dementsprechend unflexibel sein, also seine organischen Medien wie Sprachgebrauch, Fremdsprachenkenntnisse, sportliche, artistische oder musische Fähigkeiten, emotionale Qualitäten usw. wenig variieren. Werden in einem sozialen System dagegen dynamische Werte wie der persönliche Lebensweg oder lebendige soziale Beziehungen betont, so ist das Bemühen um persönliche und gemeinsame Lebensqualität die maßgebende Aktivität. Organische Medien sind dann nicht nur Mittel zum Zweck, sondern stellen in ihrer Gestaltbarkeit durch Variantenbildungen eine qualitative Lebensbereicherung dar.

Wie die Menschheitsgeschichte zeigt, sind organische Medien sehr verschiedenartig gestaltbar. Auch unter Selektion dieser Varianten durch eine ethische Wertung bleiben noch viele gleichwertige Möglichkeiten zur Ausformung menschlicher Fähigkeiten übrig. All die unterschiedlichen Möglichkeiten können voneinander profitieren. Sie müssen nicht wie in einem Nullsummenspiel (vgl. Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, S. 121 ff.) gegeneinander ausgespielt werden. Spielerische Gestaltung von organischen Medien schafft Lebensqualität für den einzelnen und hält als gelebte Vielfalt reichhaltige Ressourcen für die Überlebensfähigkeit sozialer Systeme bereit. Die Reaktivation in Form der Rezeption oder Nutzung solcher an organische Medien gebundenen Produkte erfolgt mit Respekt und Wertschätzung vor der Arbeit, die zu deren Entstehen führte. Den Gegensatz dazu bilden maschinell gefertigte Produkte, die in immer gleicher Qualität instantan zur Verfügung stehen und gedankenlos verbraucht werden.

Das Kriterium der Variabilität bezüglich der Interaktion mit organischen Medien wird durch ein abwechslungsreiches, Flexibilität förderndes adaptives Potential von Design positiv angeregt und durch monotone, die Bildung fester Schemata begünstigender Impulse geschwächt. Im Subprozess der Ausübung und bezüglich dem Kriterium der Variabilität ist das adaptive Potential von Design eng mit der Art und Weise der Ausführung durch die aktive Person verbunden.

Beispiel für das adaptive Potential von Design

Die Fähigkeit zum lockeren, Grenzen austestenden, akzentuierenden Variieren von bestimmten organischen Logiken macht einen großen Teil der ästhetischen Erfahrung und der Lebensqualität aus. Aktive Menschen halten selten nur an einem im Organismus verkörperten Wissensschema fest, sie spielen damit, korrigieren es, entwickeln alternative Varianten und regen dadurch auch andere Menschen zu flexiblerem, das Kriterium der Variabilität positiv erfahrbar machendem Verhalten an. Geübte Schauspieler faszinieren, indem sie verschiedenste Persönlichkeiten verkörpern können. Die Fotokünstlerin Cindy Sherman scheint für jedes Foto in die Lebensgeschichte eines anderen fiktiven Menschen zu schlüpfen. Der Musiker Justus Frantz spielt auf dem Klavier ein Potpourri von ineinanderfließenden Melodien verschiedenster Musikstile. Der bekannte Fälscher Konrad Kujau zeichnet oder malt spontan im Stil unterschiedlichster Künstler. Routinierte Zehnkämpfer stellen ihre Motorik schnell auf die jeweilige Sportart ein. Erfahrene Tänzer beherrschen klassische, moderne und freie Tanzstile. Geübte Schachspieler haben tausende von Zugfolgen parat und können diese zudem variieren. Solche Menschen entwickeln durch die ständige Ausübung der Interaktion mit den durch die organische Logik bestimmten Medien die Fähigkeit, ihre Medien-Schemata und ästhetischen Lebensmuster zu variieren, ohne einer völligen Beliebigkeit zu verfallen und ohne ihre Ressourcen in unproduktiven, Machtschemata festigenden, zwischenmenschlichen Kleinkriegen zu verschwenden.