Der Ansatz basiert auf vergleichenden Untersuchungen vieler Theorien zur Thematik (vgl. Verf., damals noch Becker, 2000) sowie auf Beobachtungen des Alltagsverhaltens. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die ästhetische Erfahrung als subjektive Empfindung von Lebensqualität viele Facetten umfasst, von denen einige in der vorliegenden Untersuchung dargelegt werden. Mit John Dewey (1859-1952) ist eine ästhetische Erfahrung als besonderer Erfahrungsmoment, in dem Lebensfreude und Lebensqualität bewusst wird, zu definieren (vgl. Dewey, 1995). Eine erfüllende ästhetische Erfahrung kann somit als Zeichen für die subjektive positive Beurteilung des Lebens, der Möglichkeiten der Lebensführung und der erreichten Lebensqualität gewertet werden. Da zunehmend mehr Menschen wachsende Freiheiten zur bewussten, reflektierten Lebensführung haben (vgl. Schmid, 1998), entstehen differenzierte Lebenswege und vielfältige Vorstellungen von Lebensqualität. Dementsprechend sollte Design qualitative Angebote für vielfältige Lebensweisen und die dazugehörigen spezifischen ästhetischen Erfahrungen entwickeln können und sich nicht auf die Gestaltung von Angeboten für die Lebenswirklichkeit einer exponierten Zielgruppe verengen. Hierfür benötigen Designer neben der praktischen die analytische Kompetenz, verschiedene Schwerpunkte der ästhetischen Erfahrung abgrenzen sowie Kriterien für eine entsprechende Gestaltung formulieren zu können. Eine Voraussetzung zur Ausbildung dieser Kompetenz ist seitens der Designer eine grundsätzliche Offenheit und Verständnisbereitschaft für die vorurteilsfreie Registrierung unterschiedlicher Facetten der ästhetischen Erfahrung im Erleben der Menschen. Diese Kompetenz wird zunehmend auch vom Management gefordert, da die Entwicklung der Kundenwünsche und der Märkte immer komplexer wird und schwieriger vorauszusagen ist (vgl. Lester/Piore/Kamal, 1998). Im Sinne des vorliegenden Ansatzes wird der Weg zum Aufbau dieser Kompetenz in der durch explizite Analysen unter Einbezug philosophischer wie auch wissenschaftlicher Aspekte gewonnenen Kenntnis verschiedener Schwerpunkte und Akzentuierungen der ästhetischen Erfahrung gesehen.
Zur Erfahrung in einem ganzheitlichen Sinne verstanden, gehören viele Faktoren, welche Erfahrungsgrenzen deutlich machen und über diese hinweg reichen können. Einige davon beeinflussen die Erfahrungsorganisation besonders charakteristisch. Jedes Charakteristikum wurde im Laufe der Zeit durch unterschiedliche philosophische Sehweisen gedeutet (vgl. Verf., damals noch Becker, 2000). Daher wird zur folgenden kurzen Darlegung des Theorieansatzes der vorliegenden Arbeit exemplarisch diejenige philosophische Richtung angeführt, die in Übereinstimmung mit der Gesamtuntersuchung die fruchtbarste und sinnvollste Anknüpfung zum jeweiligen Untersuchungspunkt bietet. Als elementare Charakteristika für die Erfahrung, die im Erleben jedes Menschen relativ leicht zu unterscheiden sind und von denen keines für die differenzierte Analyse der Erfahrung und der ästhetischen Erfahrung zu vernachlässigen ist, sind erstens die Bewusstheit, zweitens die Körpergebundenheit, drittens die Geschichtlichkeit, viertens der Konkretisierungsbezug und fünftens die Verbesserbarkeit zu nennen.
Die Bewusstheit hebt im ständigen Erfahrungsfluss phasenweise besondere Zustände der Aktualität hervorgehoben. Hierbei entwickelt das Bewusstsein eine eigendynamische Grundorientierung. Der vorliegende Ansatz knüpft am Verständnis der Erfahrung und der ästhetischen Erfahrung von John Dewey an. Für Dewey gibt das Bewusstsein den Blick auf zukünftige Handlungsziele frei. Dadurch wird Erfahrung anstelle dem passiven Treibenlassen im Erfahrungsfluss als ein aktives, bewusst bewertbares Handeln konzipierbar. Neuere Erkenntnisse sprechen dafür, dass bewusste Entscheidungen nicht allein auf rationalen, sondern sogar stärker auf subjektiven, gefühlsmäßigen Erwägungen und Wertungen beruhen. Insbesondere die Qualität und spezielle Ausrichtung einer ästhetischen Erfahrung äußert sich durch ein bewusstes Gefühl. Das Charakteristikum der Bewusstheit wird als gefühlsbezogene Komponente präzisiert.
Das Charakteristikum der Körpergebundenheit von Erfahrung wird zunehmend wissenschaftlich untersucht. Nicht mehr Modelle, die von geistigen Eingebungen ausgehen erklären das Zustandekommen von Erfahrung, sondern Modelle, die den gesamten Organismus und die von diesem abhängigen neuronalen Mechanismen als Grundlage der Erfahrung annehmen. In der KI-Forschung wird die Neurokybernetik, welche die Biologie des Gehirns mit einbezieht, gegenüber der Konzeption rein formaler Systeme immer wichtiger. Der vorliegende Ansatz nimmt das Modell der Selbstorganisation auf, das von Humberto Maturana und Francisco J. Varela entwickelt wurde (vgl. Maturana/Varela, 1990). Aus der Annahme der körpergebundenen Selbstorganisiertheit von Erfahrung folgt das Problem, dass jeder individuelle Organismus seine spezifische Erfahrung organisiert, dass die Kommunikation dieser Erfahrung nicht als Informationsübertragung verstanden werden kann und dass die Erfahrungsorganisation nicht als Abbildung einer gegebenen Realität zu interpretieren ist. Das Charakteristikum der Körpergebundenheit wird als subliminale Komponente abgegrenzt.
Das Charakteristikum der Geschichtlichkeit erfasst, dass die Erfahrung des Menschen erstens durch seine Lebenszeit begrenzt und durch das Wissen um diese Begrenztheit beeinflusst wird. Zweitens ist die je individuelle Erfahrungsgeschichte in einem größeren geschichtlichen Zusammenhang eingebettet. Wie ein Mensch für sich diese Einsicht interpretiert und sich die eigne Position im Verhältnis zu anderen Menschen vorstellt, hat Einfluss auf seine Erfahrung und das Empfinden von Lebensqualität. Am deutlichsten wird bei Mary Douglas (vgl. Karmasin/Karmasin, 1997), dass der Bereich des Sozialen von dessen individueller Wahrnehmung geprägt und keine feststehende Größe ist. Jeder Mensch wächst in einem sozialen Kontext auf. Seine Erfahrungen sind stark durch die Beziehungsstrukturen, an denen er sich orientieren muss oder in die er sich selbstverständlich einfügt, gefiltert. Ungeeignet zur Beurteilung ästhetischer Erfahrung ist daher die Unterscheidung von Banausentum einerseits und Kennerschaft andererseits, denn diese bestätigt nur soziale Vorurteile. Die soziale Erfahrungsselektion trägt zum Entstehen eines »blinden Flecks« hinsichtlich der kulturell und sozial ausgeformten alltäglichen Wirklichkeitserfahrung bei. Veränderungsmöglichkeiten werden kaum wahrgenommen und die im sozialen Miteinander geschaffenen ähnlichen Erfahrungen erscheinen vollkommen selbstverständlich und naturgegeben. Das Charakteristikum der Geschichtlichkeit wird als soziale Komponente definiert.
Das Charakteristikum des Konkretisierungsbezugs benennt das Bestreben des Menschen, seine eigenen, wichtigen Erfahrungssequenzen in irgendeiner Form zu stabilisieren, zu verdichten oder konkret zu machen und / oder bereits vorhandene, konkrete Orientierungspunkte zu finden. In Hinsicht auf die Konkretisierung von Erfahrung knüpft der vorliegende Ansatz an den Forschungen von André Leroi-Gourhan an. Dieser versucht eine Koevolution von Hand und Wort, bzw. Körper und Geist nachzuweisen (vgl. Leroi-Gourhan, 1988). Für ihn ist der Mensch in erster Linie ein mit Phantasie begabtes Wesen und kein Mängelwesen, wie zum Beispiel von Arnold Gehlen angenommen. Die doppelte Fähigkeit erstens zur theoretischen Ideengenerierung und zweitens zum praktischen Lernen, führt die Menschen zu immer neuen Erfahrungen, Erfindungen und Konkretisierungen in Form von Medien. Die Welt ist für den Menschen grundsätzlich medial konstituiert. Im Verlauf des elementaren Umgangs mit den Elementen des Lebenskontextes bilden sich immer neue Erfahrungen. Diese werden als Medien konkretisiert und beeinflussen wiederum die folgenden Erfahrungen mit. Doch die Eigendynamik, welche die Medien in der Wechselwirkung miteinander entwickeln, setzen der menschlichen Erfahrungsorganisation Grenzen und zwingen ihr beispielsweise die Bewältigung technischer Folgeprobleme auf. Das Charakteristikum des Konkretisierungsbezugs wird als mediale Komponente analysiert.
Das Charakteristikum der Verbesserbarkeit beschreibt den Wunsch oder der Willen, die Erfahrungsdynamik nicht nur geschehen zu lassen oder genauso zu wiederholen, also ihre selbstorganisierte Gestaltetheit zu akzeptieren, sondern sie nach der Vorgabe der Vorstellung von einem als gut und schön zu wertendem Leben verbessernd zu gestalten. Bezüglich dem Zusammenhang von ästhetischer Erfahrung und verantwortlichem Handeln prägt die Auffassung von Heinz von Foerster den vorliegenden Ansatz (vgl. Foerster, 1988). Foerster geht von einer subjektiven ethischen Orientierung aus. Gute Lebensverhältnisse kommen nicht durch die Verwirklichung einer universellen Richtlinie zustande, sondern müssen auf die spezifischen Bedürfnisse der Individuen ausgerichtet sein. Gestaltung kann sich daher nur nach subjektiven Vorgaben richten. Diese sind jedoch daraufhin prüfend zu reflektieren, ob sie das Handeln anderer beschneiden oder weitere Wahlmöglichkeiten erzeugen und gegebenenfalls zu modifizieren. Die ästhetische Lebensgestaltung und die Vergrößerung des Gestaltungsspielraums steht in einer gleichberechtigten Wechselwirkung mit den individuell zu verantwortenden Handlungsrichtlinien. Durch Gestaltung kann keine totale Neuorganisation der Erfahrung erfolgen. Die Prozesse der Erfahrungsorganisation laufen ständig weiter, ohne Möglichkeit einer Unterbrechung oder eines Neuanfangs mittels vorher optimierten Komponenten. Design kann aber zumindest regulierend auf die Erfahrungsorganisation einwirken. Hierbei ist erstens zu berücksichtigen, dass ästhetische Erfahrung letztlich immer im subjektiven Bewusstsein zur Entfaltung und zur gefühlsmäßigen Bewertung kommt. Zweitens ist zu bedenken, dass die individuell variierenden Lebensverhältnisse mit unterschiedlichen Handlungsspielräumen und dementsprechend ungleich verteiltem Verantwortungsgewicht verbunden sind. Design sollte daher nicht nur eine Lebensform favorisieren, sondern der Vielfalt ästhetischer Erfahrungsmöglichkeiten gemäß, Gelegenheiten schaffen, diese gewünschten und verantwortbaren ästhetischen Erfahrungen auch auszuleben. Das Charakteristikum der Verbesserbarkeit wird als antizipierende Komponente beschrieben.