Zum Kriterium der »Neuheit« bezüglich der explorativen Tendenz

Während hinsichtlich der introvertierten Tendenz das Bekannte die intuitive Anknüpfung erleichtert, ist bezüglich der explorativen Tendenz die Neuheit das Kriterium, mit dem ästhetisches Material den ersten Anschluss begünstigt. Nicht das bewährte Alte, sondern das vielversprechende Neue wird gesucht. In der progressiven Dynamik der explorativen Tendenz geraten viele Reize in das Blickfeld, die am Ende nicht halten, was sie versprechen und es ist ein gewisser Energieverschleiß einzukalkulieren.

Für den einzelnen heißt das, dass er für die Suche nach Neuem mehr Energie aufwenden muss, als sich auf das Bekannte und die introvertierte Tendenz zu konzentrieren. Jemand, der aufgrund der Erfahrungsqualität der Neuheit einer Kamera, einer Skiausrüstung, eines Fahrrads, einer Software usw. einen ersten kognitiven Anschluß herstellt, das Produkt kauft und sich damit in den Strudel von Folgeentwicklungen begibt, die er ebenfalls erwerben muss, um das erste Produkt immer auf dem neuesten Stand zu halten, kommt selten dazu, die Aktivierungsmöglichkeiten des Produkts für sich sinnvoll zu entfalten. Eine Begleiterscheinung dieser einseitigen Aufmerksamkeit für das Neue ist der Verschleiß ästhetischer Mittel und ihrer potentiellen Erlebnisqualität. Sie werden nicht hinsichtlich ihrer sensitiven oder animativen Funktion entfaltet, sondern bei nächster Gelegenheit durch eine neue Entdeckung ersetzt.

Immer das Neueste zu wissen oder um sich zu haben ist ein psychisches Bestreben, das aus der explorative Tendenz resultiert. Indem die Jagd nach Neuen und die Bevorzugung der explorativen Tendenz zur gesamtgesellschaftlichen Orientierung erhoben wird, erfährt das Handeln des einzelnen eine zusätzliche Beschleunigung, die sich in sozialen Systemen fortsetzt. In diesem Zusammenhang zeigt sich der Energie- und Ressourcenverlust anhand von technischen Innovationen, für die man sich um ihrer selbst Willen begeistert, ohne zu prüfen, ob sie sich im gewohnten Leben bewähren können. Die Formierung von Design als Wissenschaft steht in diesem Kontext, der die explorative Tendenz und das Neue hoch einschätzt und die somatische und introvertierte Tendenz sowie das sensitive und das animative Design hauptsächlich in ihrer, die Akzeptanz von impulsivem Design unterstützenden Funktion miteinbezieht. So ist die Frage, was den nun eigentlich das Neue an dem Entwurf sei, bei Diplompräsentationen obligatorisch, selbst wenn das Design durch explizite Bezugnahme auf sensitive oder animative ästhetische Kriterien entstanden ist und Neuheit als solche kein entscheidendes Gestaltungskriterium war.

Die negativen Kritikpunkte zum Kriterium der Neuheit ergeben sich aus dessen Überbewertung und der Vermischung von Neuheit im Verhältnis zur individuellen Erfahrung und zum gespeicherten Wissen sozialer Systeme. Wenn Neuheit ihren Stellenwert als erste kognitive Anknüpfung in der von der explorativen Tendenz getriebenen subjektiven Erfahrung erhält, dann relativiert sich ihrer Bedeutung, denn als weitere ästhetische Kriterien folgen ihr die sinnvolle Entfaltbarkeit und die Zuordnbarkeit. Das impulsive Potential von Design, das der explorativen Tendenz einen Anschluss bieten will, sollte durch Neuheit auffallen und gleichzeitig darüber hinausweisen.

Beispiel für das impulsive Potential von Design

Ein negatives Beispiel zum Kriterium der Neuheit geben viele Homepages ab, die zwar durch Interesse weckende Links und auffallende Gestaltung zunächst Anknüpfungen für die explorative Tendenz bieten, bei weiterem Erkunden aber triviale Inhalte darbieten. Ebenso faszinierte die Produktgattung der Pager anfangs durch ihre Neuheit, sowohl bezüglich der Erscheinung, als auch der versprochenen Funktionen, die sie aber durch zu hohe Nutzungskosten bisher nicht einlösen konnte.

Folgenreich im positiven Sinne waren dagegen die neuen Impulse, die David Carson in den 90er Jahren im Kommunikationsdesign setzte. Er zeigte innovative Lösungen, die vielen Designern auf der Suche nach neuen ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten Anregungen zur Entfaltung weiterführender eigenständiger Inspirationen boten.