Zum Kriterium des »Entspannbarkeit« bezüglich der somatischen Tendenz

Wird eine motivierte Aktivität zu schnell durch prompte Zielerfüllung beendet, bleibt erstens keine Zeit, das wiederhergestellte Gleichgewicht qualitativ zu werten und wirkliche Befriedigung zu empfinden, zweitens gibt es keine Möglichkeit zur individuellen Regulierung der weiteren Aktivität. Für die Qualität einer Erfahrung unter dem Schwerpunkt der Motivation bezüglich der somatischen Tendenz ist daher das Kriterium der Entspannbarkeit im Zusammenhang mit deren individuell dosierbarer Herbeiführung zu beachten.

Aktuelle Forschungen der Medizinerin Linda Bartoshuk zur Geschmackssensibilität im Vergleich zur Häufigkeit der Geschmacksknospen auf der Zunge legen nahe, dass etwa ein Viertel der Menschen Superschmecker, ebensoviele Schlechtschmecker und der Rest Normalschmecker sind. Um den Hunger nach Sahnetorte zu befriedigen und die Entspannung der somatischen Tendenz zu erreichen, müssen die Schlechtschmecker mehr Torte essen als die Superschmecker und tatsächlich bestätigte sich die Vermutung, dass Schlechtschmecker im Durchschnitt korpulenter sind. Das unbewusste Ziel, welches der Prozess der Motivation anstrebt zum Beispiel eine Sättigung bei Hunger wird durch langsames, dosiertes und geschmacksprüfendes Essverhalten nachhaltiger erfüllt als durch hastiges Schlingen.

Diese Trägheit des somatischen Spannungsabbaus ist kommerziell ausnutzbar. Beispielsweise indem bei den kleinen Jahrmarktsattraktionen zunächst der Tendenz nach körperlichem Erleben entsprochen wird, die Fahrzeiten aber so kurz eingestellt sind, dass eine Fahrt meist nicht ausreicht, um eine befriedigende Spannungslösung zu erreichen. Wenn es nicht gelingt, dem körperlichen Rhythmus von Anspannung und Entspannung durch individuell dosierbare und regulierbare Aktivität zu entsprechen, kann die somatische Tendenz sich zu drängendem Suchtverhalten entwickeln. Auch Aggressivität kann aus dem unbefriedigten Drang nach individuell bemessener körperlicher Aktivität und dem unerfüllten Kriterium der Entspannbarkeit entstehen. Daher sind durch das sensitive Potential Gelegenheiten anzubieten, die es erlauben, eine auf die somatische Tendenz bezogene Motivation beispielsweise im sportlichen Kräftemessen auszuleben sowie dosiert und regulativ zu gestalten, damit nachhaltige Entspannung eintreten kann.

Beispiel für das sensitive Potential von Design

Durch industrielle Fertigungserfordernisse sind seit dem letzten Jahrhundert individuelle Dosierungen in allen Lebensbereichen mit durchschnittlichen Portionierungen, die dem ergonomisch erfassten Standardmenschen entsprechen, ersetzt worden. Einer Anspannung soll ein bestimmtes, portioniertes Aktivitätsziel zum Spannungsabbau entsprechen. Bereits ein Baby wird dazu angehalten, sein Portionsgläschen leer zu essen oder mit dieser festgesetzten Menge auszukommen. Im Medizinbereich, der das umfassendste Wissen zum Körper zusammenträgt, gibt es noch Defizite. Obwohl es die heutige Herstellungstechnik von Kapseln erlauben würde, Dosierungen nach individuellem Bedarf herzustellen, werden weiterhin einheitliche Portionen gefertigt, wobei es oft sogar unmöglich ist, eine Tablette zu halbieren, da diese dann ihre Wirkstoffe zu früh freisetzt. Die Beachtung des Kriteriums der Entspannbarkeit könnte in der Pharmaindustrie und auch in der Lebensmittelindustrie zu neuen und besseren Produkten führen. Die Verpackung von Getränken in wiederverschließbaren Flaschen ist im Sinne des sensitiven Potentials von Design günstig, da mit diesen der momentanen Anspannung, bzw. dem Durstgefühl entsprechend portioniert werden kann. Dementsprechend müsste beispielsweise auch eine Chipstüte mit Restinhalt sauber verschließbar sein und attraktiv aussehen.

Im Bereich der Kleidung können körperliche Veränderungen wie dickere Beine am Nachmittag oder der gefüllte Magen nach dem Essen zu Anspannungen führen, die durch entsprechende Details wie dehnbares Material, Zweifachverschlüsse im Design abzubauen und zu regulieren sind. Weshalb sollten nicht auch Produkte in anderen Bereichen durchdachter und vielfältiger konzipiert sein, um sensitive Dosierung und Regulierung der körperlichen Entspannung zu unterstützen? Beispielsweise lehnen viele Menschen Zeitungen wie »Die Zeit« nicht wegen ihres Inhalts, sondern dem großen Format, das ihnen beim Lesen körperliche Haltungsprobleme bereitet, ab. Neue Zeitungen wie »Die Woche«, mit kleinerem Format, finden hierdurch ein Marktsegment.

Bereits bestehende Konzepte für Maßschneiderei in Kaufhäusern oder ein Baukastensystem für individuelle Bettenproduktion zeigen, dass es kein Luxus bleiben muss, Produkte, die somatische Anspannungen, wie Rückenschmerzen, abbauen, kompensieren oder regulieren sollen, speziell einjustierbar und nuanciert zu gestalten. Insbesondere die computergesteuerte Fertigung erleichtert die Produktion differenzierter, nach dem Kriterium der Entspannbarkeit gestalteter Produkte.