Zum Kriterium der »Hingezogenheit« bezüglich der introvertierten Tendenz

Das Kriterium der Hingezogenheit bezeichnet eine erste emotionale Bewertung von Ästhetischem bezüglich der introvertierten Tendenz. Als Auslöser für die intuitive Zuneigung zu einem Reizangebot soll hier weniger die von Eibl-Eibelsfeld diagnostizierte emotionale Empfänglichkeit, welche beispielsweise eine Gestaltfiguration im Kindchen-Schema anspricht, untersucht werden, als vielmehr das subtile Empfinden einer inneren Nähe, welches durch das unbestimmte Gefühl, etwas von der internen Wirklichkeit in einem externen Objekt wiederzufinden, entsteht.

Er reicht aus, wenn kleine ästhetische Hinweise wie bestimmte Farben, Materialien, Formen, Düfte usw. zu einem positiven Wiedererkennen oder einer schönen Erinnerung veranlassen und ein Gefühl von Sympathie wecken. Auf diese Weise werden Gegenstände zusammengetragen, welche durch das Kriterium einer persönlichen Hingezogenheit aufeinander bezogen sind und unabhängig vom gebrauchsbedingtem Verschleiß und Ersatz die ästhetische Historie des ganz persönlichen Lebenskontexts schreiben. Umgekehrt werden zu negativen Erinnerungen gehörende ästhetische Reize abgelehnt. Hierin liegt eine wichtige Ursache für die emotionale Bewertungsvielfalt gegenüber Ästhetischem, die sich trotz aller Gleichschaltungsversuche durch Modediktate behauptet und sich auch der bewussten Reflexion widersetzt. Designkonzepte, welche auf diese bestehenden emotionalen Bindungen nicht eingehen, werden bereits auf subliminaler Ebene mit negativen Emotionen belegt und die zugehörigen Produkte werden nicht pfleglich, sondern gleichgültig bis aggressiv behandelt.

Beispiel für das animative Potential von Design

Gert Selle schildert sein ambivalentes Verhältnis zwischen distanzierter Selbstreflexion und emotionaler Hingezogenheit anhand einer Erinnerung an die Sitzecke seines Vaters (vgl. Selle, in: Ruppert, 1993). Das Wissen um die miefige Kleinbürgerlichkeit des Wohnmobiliars wechselt mit der innerlichen Zuneigung zur väterlichen Wohnsphäre ab. Wie viele Menschen sich in diesem Konflikt für die Fortschreibung ihrer ästhetischen Prägung und zum Eintreten für ihre emotionale Hingezogenheit gegenüber zeitweise diskriminierten ästhetischen Elementen entscheiden, zeigt zum Beispiel die stabile Präsenz der Möbelkette Domizil im Hintegrund des aktuellen Möbelangebots oder auch der Kult um den deutschen Schlager, Sissi-Filme, Blumenmotive usw.

Schülerstatements zu neuen Schulbauten mit sehr unterschiedlichen architektonischen Konzepten in Wien belegen, dass viele Schüler eine innerliche Hingezogenheit zu Gebäuden entwickeln, die aus dem Alltagsleben bereits bekannte und positiv besetzte ästhetische Elemente wie kleinteilig gegliederte Raumsituationen, verschiedene Farben und Materialien usw. einbringen, während ausschließlich helle, offen und weiträumig angelegte Stahl-Glaskonstruktionen eher abgelehnt werden.