Zum Kriterium der »Gegenwärtigkeit« bezüglich der somatischen Tendenz

Das körperbezogene Glücksgefühl drückt sich in der Erlebnisqualität von Gegenwärtigkeit aus. Im Hier und Jetzt übersteigt das körperliche Erleben von positiver Intensität die Einflüsse der anderen subliminalen Tendenzen und hebt den Unterschied zwischen innen und außen, vorher und nachher auf. Neben den körperlichen Erfahrungsbereichen von Erotik und Sexualität vermitteln vor allem positiv motivierte körperliche Arbeit, Sport und Musik erfreuende Emotionen, die im gegenwärtigen Erleben zur Entfaltung kommen und daher durch das Kriterium der Gegenwärtigkeit zu bewerten sind.

Eine körperliche Stimulanz der Endorphine oder Glückshormone durch entsprechende Drogen ohne körperliche Bewegung erzeugt nicht die gleiche Qualität von Gegenwärtigkeit, weil das mit der Körperaktivität verbundene somatische Feedback fehlt. Für dieses glaubt der Physiologe Neil Todd (vgl. New Scientist, Bd. 2047, S. 10) eine Erklärung gefunden zu haben, die den Reiz solch unterschiedlicher Aktivitäten wie Tanzen bei lautstarker Musik, Bungee-Jumping, Rafting oder Motorradfahren betrifft. Ein Teil des Innenohrs, der Sacculus, der ebenso für das Hören, wie für die Gleichgewichtsfindung zuständig ist, verursacht bei Stimulanz ein Bewegungsgefühl, das durch die somatische Tendenz zu mehr Aktivität und zur Verstärkung des Gefühls drängt. Extremsportler werden durch zunehmende Gewöhnung regelrecht süchtig nach Steigerung von Geschwindigkeit oder Lautstärke. Normale Körperaktivität reicht nicht aus, um dieses Feedback zu stimulieren. So hat die Empfehlung von Karl Schallaböck vom Wuppertal Institut, Aktivität und ökologisches Bewusstsein miteinander zu verbinden und öfters mal zu Fuß zu gehen keine große Attraktivität für Bewegungshungrige. Das sensitive Potential muss daraufhin angelegt sein, körperliche Belastungsproben im Alltag nicht völlig auszuräumen und zusätzlich durch positive, risikoarme Tätigkeitsangebote intensive körperliche Aktivitätserfahrung zu fördern.

Einige Bereiche, in denen das sensitive Potential im beschriebenen Sinne zum Einsatz kommt, werden aufgrund der Geringschätzung des Körpererlebens und dem Mangel an entsprechenden persönlichen Erfahrungen von Theoretikern diskriminiert. Doch der somatische Drang nach der Erfüllung der Sinne und dem Genießen der Körperlichkeit gehört zum Menschsein und ist auch aus historischen Schilderungen und Erfahrungsberichten von extremen Erlebnissen, insbesondere im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen bekannt. Diese Bereiche sollten auch von Designern aufgegriffen werden, um die Thematisierung der somatischen Tendenz nicht denjenigen zu überlassen, die dem Kriterium der Gegenwärtigkeit von Körperempfindungen einzig durch extreme Reize, die spontan Emotionen wie blinde Faszination oder Aggressivität auslösen, entgegen kommen.

Beispiel für das sensitive Potential von Design

Viele Fahrgeschäfte auf Jahrmärkten bieten ein intensives, erfüllendes Erlebnis von Gegenwärtigkeit an. Das ungewohnte Bewegungsgefühl bei weitgehend garantierter Sicherheit erfreut die Menschen. Die intellektuelle Missachtung solcher Erlebnisangebote konnte ihren Erfolg nicht bremsen und ist ungerechtfertigt, denn das komplexe Design von Achterbahnen ist längst eine Angelegenheit für Experten.

Die Techno-Musik basiert nicht auf melodischen Kompositionen, sondern auf dem sensitiven Potential von subliminalen Wirkungen auf die ästhetische Erfahrung durch Klänge und Rhythmen. Filme für Kinos mit Imax-Technlogie, die eine Panorama-Projektionswand mit beweglichen Zuschauerplätzen kombiniert, haben nicht in erster Linie die Aufgabe, eine gute Geschichte zu erzählen, sie sind vielmehr durch das sensitive Potential dahingehend zu gestalten, dass sie eine intensive Körpererfahrung des gegenwärtigen Beteiligtseins am Geschehen ermöglichen. Auch Computerspiele, die Autorennen oder Flugerfahrungen simulieren, bieten eine ungefährliche Möglichkeit des intensiven Auslebens der somatischen Tendenz an.

Küchenutensilien zur Zubereitung der Speisen und zum Servieren vom Kochtopf bis zum Serviettenhalter haben nicht nur die Aufgabe gebrauchsgerecht zu funktionieren, sondern dienen darüber hinaus dem die Sinne erfreuenden und der somatischen Tendenz entsprechenden Genuss beim Kochen und Essen. Das Kriterium der Gegenwärtigkeit kann gerade bezüglich dem alltäglichen Vorgang des Essens qualitativ gefördert werden und die Vielfalt der Speisen sollte sich auch in der Vielfalt der Service, Gläser und Bestecke ausdrücken. So hat es sich die Bewegung »Slow Food« zur Aufgabe gemacht, alles was zur Leibesfreude des Essens gehört, zu kultivieren. Denn letztlich trägt eine Erfüllung der Sinne und das positive Erleben von körperlicher Gegenwärtigkeit auch zu einer Abkehr von kalter, distanzierter Oberflächlichkeit und einer Bereicherung der Herzensbildung bei. Da nicht jedermann in seiner eigenen Küche diese Qualität erreichen kann, ist die Gastronomie gefordert, auch breiteren Zielgruppen einen genussvollen Umgang mit Nahrung, wenn auch nicht jeden Tag, so doch bei Gelegenheit zu ermöglichen.