Zum Kriterium der »Direktheit« bezüglich der somatischen Tendenz

Während einer Sightseeing-Tour in einer fremden Stadt ergreifen Touristen häufig unmittelbar jede Gelegenheit, die sich zum kurzfristigen Hinsetzen und Ausruhen des Körpers bietet. Darüber, ob sich ein Geländer, ein Stein, eine Treppe, ein Brunnenrand usw. zum bequemen Sitzen eignet, wird nicht lange kognitioniert. Die Anknüpfung scheint direkt möglich zu sein. Aufgrund solcher Beobachtungen entwickelte James J. Gibson eine Theorie der »direkten Wahrnehmung«, die er in seinem Hauptwerk »Die Wahrnehmung der visuellen Welt«, 1973, darlegte. Wie die konstuktivistische Wahrnehmungstheorie lehnt auch Gibson Repräsentationsmodelle, von denen die Kognitivisten ausgehen, ab. Seine Begründung hierfür basiert allerdings konträr zur Annahme der Konstruktivisten, dass Wirklichkeit eine vom menschlichen Organismus abhängige Konstruktion ist, auf der These, der Organismus sei im Lauf der Evolution für die unmittelbare Aufnahme von Informationen aus der Umwelt optimiert worden. Dieser Ansatz wurde für die vorliegende Untersuchung bereits verworfen (vgl. Kapitel 1.3).

Interessant bleibt die Beobachtung Gibsons, dass Menschen hinsichtlich der somatischen Tendenz mit großer Direktheit Anschluss zu dem vorgefundenen Reizmaterial herstellen können. Gibson beschreibt dies mit dem Begriff der Affordanz, des Aufforderungscharakters eines Objekts. Zum Werfen werden Dinge genommen, die greifbar sind, zum Anlehnen werden Dinge gesucht, die stabil sind, zum Streicheln werden Dinge berührt, die haptisch reizvoll sind usw. Durch diese Beobachtungen erlangte Gibsons Ansatz in der Designtheorie Bedeutung, denn er stellt die Wichtigkeit der speziellen Beschaffenheit, des Designs von Dingen heraus. Was heißt es aber zu sagen, dass ein Stuhl zum Sitzen, ein Türgriff zum Greifen, ein roter Knopf zum Drücken, eine Treppe zum Hinaufgehen usw. je besser auffordert, desto direkter sein Design wahrnehmbar ist? Design wird dann über eine instruktive Funktion definiert, die dazu beiträgt, das selbstbestimmte Verhalten eines Individuums ähnlich dem Reiz-Reaktions-Ansatz auszuklammern oder abzuwerten.

Trotz dieser Kritik an der designtheoretischen Adaption von Gibsons Ansatz, ist Direktheit als eine Art unmittelbarer Anschließbarkeit in der Interaktion mit Objekten der Umwelt bezüglich der somatischen Tendenz ein wichtiges Kriterum für das sensitive Potential von Design. Dies gilt insbesondere in Situationen, die schnelles Handeln erfordern und hinsichtlich allen Tätigkeiten, welche vom einzelnen nur selten ausgeübt werden und für die deshalb keine körperliche Routine vorausgesetzt werden kann. Die Art und Weise des entsprechenden sensitiven Potentials ist durch möglichst eindeutig interpretierbare, direkte Aktivierungsmöglichkeiten zu charakterisieren, um zu betonen, dass letztlich das Individuum handelnder Akteur bleibt und nicht durch den Begriff des Aufforderungscharakters.

Beispiel für das sensitive Potential von Design

Auto oder einem Feuerlöscher sollte möglichst direkt erfassbar und ausführbar sein. Durch dem sensitiven Potential von Design entsprechende Gestaltung der Bedienelemente, seien dies Druckknöpfe, Haltegriffe oder Dosenverschlüsse, muss eine möglichst unmittelbare kognitive Anschließbarkeit und eine problemlose Handhabung erreicht werden. Bewegliche Teile müssen als solche zu erkennen sein. Die Art der Bedienung wie Drücken oder Ziehen sowie eine Vorstellung des Kraftaufwands sollte direkt in das Agieren einfließen können. Manchmal ist es dagegen notwendig, die Direktheit als Kriterium des Subprozesses der Anknüpfung zu erschweren, bzw. Aktivierungsmöglichkeiten zu verstecken wie bei der Gestaltung von Schutzeinrichtungen ­ Drehverschlüsse, Steckdosenabdeckungen, TV-Sicherungen ­ für Kinder.

Zum Kriterium der »Wohligkeit« bezüglich der somatischen Tendenz

Nach der positiven Bewältigung einer körperlichen Aufgabe und dem Abklingen der emotionalen Intensität der Gegenwärtigkeit kommt das Gefühl einer anhaltenden Wohligkeit auf. Das somatisches Feedback der Wohligkeit wird als Stärkung der körperlichen Kondition erlebt. Ob der Körper objektiv eine Funktionssteigerung aufweist ist in diesem Zusammenhang zweitrangig; wichtig ist das subjektive Fühlen eines stärkeren Körperschemas und tieferer Vertrautheit mit dem eigenen Körper.

Wohligkeit heißt, sich wie ein Fisch im Wasser zu fühlen, sicher, locker, wohl in der eigenen Haut. Aktuelle Umfragen zu den Erwartungen an sportliche Aktivität sind dahingehend interpretierbar, dass Menschen weniger die Teilnahme an sportlichen Leistungswettkämpfen anstreben, als vielmehr Erlebnisse suchen, welche die Kombination aus lustvollem, Gegenwärtigkeit vermittelndem Kick und dauerhaftem Wohlbefinden vermitteln (vgl. Opaschowski, 1997). Das sensitive Potential kann körperliche Erholung und das Empfinden von Wohligkeit unterstützen, indem in Körpernähe ein Resonanzraum geschaffen wird, der die somatischen Aktivitäten, wie Atemrhythmus, Herzschlag, Körpertemperatur, sanft auffängt und bestätigend zurückgibt.

Beispiel für das sensitive Potential von Design

Autogenes Training oder die therapeutische Wirkung von alternativen Heilmethoden wie die Behandlung mit Düften, Klängen, Licht, Wärme oder Massage basieren auf dem Prinzip der positiven Stärkung des Bio-Feedbacks. Diesem Effekt setzt auch die Technologie der Mind Machines des Wissenschaftsteams FOCUS ein (vgl. Ars Electronica, Virtuelle Welten, Linz 1990). Körper und Computer werden durch Sensoren, die den körperlichen Zustand messen und deren Daten mittels Software in Töne und Lichtreize transformiert werden, verbunden. Durch auf den individuellen Biorhythmus abgestimmte audiovisuellen Impulse, die von einer Brille und Kopfhörern übertragen werden, um den Nutzer von störenden Umweltreizen abzuschirmen, wird der Hypothalamus direkt stimuliert, bis die erwünschte Wohligkeit eintritt.

Zum Kriterium der »Angeregtheit« bezüglich der explorativen Tendenz

Von der explorativen Tendenz motiviert strebt der Verhaltensfluss relativ unbestimmt irgendwelchen Reizangeboten zu. Auch hierdurch entsteht eine verengende Kanalisierung. Diese ist nicht durch das somatische Kriterium der Bedürfnisgerechtheit oder das introvertierte Kriterium der Befindlichkeit vorgegeben, sondern formt sich durch zufällig vorgefundene und im Verhalten verknüpfte Reize der externen Welt nach dem explorativen Kriterium der Angeregtheit. Insbesondere für Kinder ergeben sich aus diesem Effekt weitreichende Konsequenzen für ihr Wirklichkeitsverständnis.

Ansätze zur explorativen Tendenz bei Kindern zu ermuntern, sie mit allzu vielfältigen Angeboten in Kontakt zu bringen, kann zu einem konfusen Verhältnis zur Wirklichkeit führen, denn diese ist durch die einseitige Förderung der explorativen Tendenz weder im Innersten verankert, noch in einer kommunikativen Beziehung zu einer sozialen Gruppierung ausgerichtet. Dabei ist es egal, durch welche Medien, ob Buch, Fernsehen, Internet, Museen oder auch Reisen, diese Angebote erfolgen. Anstatt der elterlichen Erwartung entsprechend, Wissen anzusammeln, vermischt sich im Erfahrungshintergrund des Kindes Vergangenes, Aktuelles, Historisches oder Erfundenes, Wissenschaftliches oder Sektiererisches, zu einem neuen Zusammenhang. Im positiven Fall resultiert daraus Kreativität. Im negativen Fall entsteht weder ein stabiles Selbstgefühl noch Nähe zu anderen Menschen. Das Kind oder der Jugendliche treibt ohne interne Selektions- und Wertungsfähigkeit von einem Reiz zum nächsten. Für Erwachsene, die bereits ein Selbstgefühl und kommunikative Kompetenz entwickeln konnten, ist die Gefahr, zum Spielball des durch die explorative Tendenz motivierten Aktivitätsdrangs zu werden, geringer. Zu wenige Reizangebote sind für die kindliche Entwicklung ebenso schädlich, da sie frühzeitig eine verengte Kanalisierung einleiten.

In pädagogischer Hinsicht ist deshalb eine verantwortliche Haltung bei der Konzeption von Design mit dem Schwerpunkt des impulsiven Potentials einzufordern. Das impulsive Potential von Design kann nur durch den maßvollen und im Ansatz zielorientierten, jedoch nicht instruieren wollenden Einsatz gestalterischer Mittel förderlich auf das Kriterium der Angeregtheit wirken.

Beispiel für das impulsive Potential von Design

An vielen Kindergärten werden seit einigen Jahren spielzeugfreie Wochen durchgeführt. Die Kinder müssen erst wieder lernen, einen selbstbestimmten Verhaltensfluss zu entwickeln, denn es stehen nicht mehr ständig initiierende Angebote in Form der Spielsachen bereit. Es wird mehr miteinander gespielt und die Natur wird stärker einbezogen. Trotz positiver Ergebnisse beschlossen alle Beteiligten, wie Kinder, Eltern und Erzieher, dass ein dauerhafter Verzicht auf Spielzeug nicht sinnvoll wäre, denn ein Großteil der Kinder wird nach einiger Zeit in dem Drang nach geistiger explorativer Aktivität unterfordert.

Fernsehprogramme für Kinder und Jugendliche werden auf ihre erzieherische Tauglichkeit hin auch unter Einbeziehung der Zuschauerreaktion geprüft. Kinder riechen eine allzu erzieherische Selektion und instruierende Absicht hinter der Umsetzung einer Sendung meilenweit gegen den Wind und wehren dieses pädagogisch zu einseitig definierte impulsive Potential von Design durch Umschalten sofort ab.

Zum Kriterium der »Befindlichkeit« bezüglich der introvertierten Tendenz

Hinsichtlich der introvertierten Tendenz stellt die Befindlichkeit oder die Stimmung den Selektionsfilter für die Kanalisierung dar. In einer fröhlichen Stimmung werden negative Reize ausgeblendet und umgekehrt. Der Filter der jeweiligen Befindlichkeit färbt die gesamte Wirklichkeitserfahrung ein. Da Befindlichkeiten schwanken und instabil sind, erhält die nach Integrität und Gefasstheit strebende introvertierte Tendenz ständig verändernde Impulse, die intern austariert werden müssen.

Vielen Menschen fällt es schwer, negative Befindlichkeiten zuzulassen oder positive Stimmungen auch im Wissen um ihre Kurzfristigkeit zu genießen, weil sie im Sozialisationsprozess dazu angehalten wurden, ihre wechselnde Befindlichkeit zugunsten der Präsentation eines stabilen Charakters zurückzustellen. Gerade in der inneren Hingabe an vorübergehenden Befindlichkeiten entwickelt sich aber eine basale Empfindungsfähigkeit, die eine Voraussetzung für die Entfaltung von Selbstgefühl und Empathie ist (vgl. Kapitel 3.2). Subjektive, sich von innen aufdrängende Befindlichkeiten, ob leidvoller oder freudvoller Art sollten seltener als Störungen der bewussten Selbstdarstellung oder der reibungslosen Kommunikation interpretiert und unterdrückt, sondern als seelische Signale angenommen werden. Ein auf die spezifische Befindlichkeit abgestimmtes, animatives Potential von Design trägt dazu bei, diese Signale der introvertierten Tendenz besser zu deuten und auszuleben.

Beispiel für das animative Potential von Design

Im Streit zwischen der sogenannten Schulmedizin und der alternativen Medizin, geht es um die Definition von Gesundheit. Während die Schulmedizin durch Messverfahren das Befinden des Patienten ermittelt, fragt der alternative Arzt explizit nach dessen Befindlichkeit. Alternative Heilmethoden bleiben nicht am Körper fixiert. Sie regen auch eine Regeneration der Seele an. Vielfach werden heute beide medizinischen Richtungen angewendet, denn nicht der medizinische Richtungsstreit, sondern das Wohlbefinden des Patienten soll im Vordergrund stehen.

Ebenso müsste innerhalb der Designdisziplin umgedacht werden. Das Design technischer Produkte braucht nicht unbedingt mit einer kühlen, distanzierten Anmutung verknüpft zu sein. Diese häufig angestrebte Verbindung ist weder generell besser als andere Designansätze, noch muss sie zwangsläufig im Konflikt mit diesen stehen. Dies demonstrieren italienische Leuchtenhersteller mit ihren technisch ausgefeilten Konzepten für stimmungsvolle, der jeweiligen Befindlichkeit entsprechend variierbare Wohnraumbeleuchtung. Auch Wettbewerbsentwürfe für zukünftiges Wohnen integrieren Technik und animative Anmutung, indem sie große digitale Bildwände, deren Motive oder Farbmuster je nach Befindlichkeit programmierbar sind, vorschlagen.

Zum Kriterium der »Bedürfnisgerechtheit« bezüglich der somatischen Tendenz

Ein Bedürfnis der somatische Tendenz macht sich durch ein Gefühl von nervöser Anspannung, die sich auf einen bestimmten Bereich des Körperschemas richtet, bemerkbar. Die grobe Richtung eines Bedürfnisses wie Hunger, Durst, Sehnsucht nach Streicheleinheiten, Bewegungsdrang usw. bringt sich recht eindeutig ins Bewusstsein Schwieriger ist die spezielle Bestimmung, wodurch der Hunger gestillt werden kann, wie der Bewegungsdrang auszuleben ist. Wird kein der Anspannung und dem Bedürfnis entsprechendes Verhalten eingeleitet, fordert der Körper durch Stressreaktionen die Aufmerksamkeit. Es ist daher wichtig zu lernen, das eigene Körperschema ständig zu aktualisieren und die Signale des Körpers richtig zu interpretieren. Vielen Menschen kommt dieses Gespür heute abhanden. Mitschuld daran sind Visionen mancher Computerforscher, die wie Hans Moravec oder vorher Norbert Wiener, die Überwindung des Körperlichen durch zukünftige intelligente, zur Selbstreplikation fähigen Roboter voraussagen, von der Unnötigkeit des Leibes für den Geist ausgehen und das Körperliche gegenüber dem Geistigen degradieren. Sie stehen in der langen, das Denken vieler Wissenschaftler prägenden Tradition der idealistischen und rationalistischen westlichen Philosophie. Dagegen bezieht die östliche Philosophie das Körperliche stark ein.

Ungeachtet aller Zukunftsphantasien wie die von William Gibson in seinen Science Fiction Geschichten geschilderten beliebig veränderbaren Cyber-Körper oder der Experimente des australischen Künstlers Stelarc mit technischen Erweiterungen seines Körpers, hat jeder Mensch noch immer nur den einen Leib, in dem sich seine Seele und Lebenszeit konkretisiert. Es bleibt daher im Streben nach Lebensqualität notwendig, die aufkommenden Bedürfnisse der somatischen Tendenz interpretieren zu lernen und nicht wiederholt durch Ersatzangebote abzubauen, da dies dem eigenen Wohlbefinden und der Gesundheit dauerhaft schadet.

Im medizinischen Bereich ist es besonders wichtig, sich bei einer unklaren Diagnose langsam an die Ursache eines Schmerzgefühls, das ja auch eine Art von Bedürftigkeit darstellt, heranzutasten. Hierzu werden verschiedene Untersuchungsmethoden genutzt. Ebenso muss eine diffuse somatische Anspannung zunächst einmal nach ihrer spezifischen Tendenz diagnostiziert werden, indem körperlichen Empfindungen und Erfahrungen nachgespürt wird, um dann die weitere Aktivitätsrichtung zu selektieren. Bei der Auswahl, ob dem Hungergefühl eher mit Schmalzbroten oder mit Salaten abzuhelfen ist, sollte das körperliche Gedächtnis als Referenzebene fungieren und signalisieren können, ob der Körper in dieser Situation eher Fett oder Ballaststoffe benötigt. Das sensitive Potential von Design könnte dem Kriterium der Bedürfnisgerechtheit entsprechen, indem es den Aufbau dieses Gedächtnisses fördert, dabei hilft, es zu verfeinern und ein Gespür für die Deutung der spezifischen Ursache eines Bedürfnisses zu bewahren.

Beispiel für das sensitive Potential von Design

Nahrungsmittel werden zunehmend industriell gefertigt. Food-Design erhält dadurch wachsende Bedeutung, denn es gibt die Rezepturen und Geschmacksrichtungen vor. Durch künstliche Aroma- oder Farbzugaben, Verdickungs- und Streckungsmittel sind viele Nährstoffe weder an ihrem puren Geschmack zu erkennen, noch mit ihrer Wirkung auf den Körper zu verbinden. Anstelle selbst ein Gespür für die Nahrungsmittel, die der Körper benötigt, zu entwickeln, entsteht Abhängigkeit von dem speziellen Geschmack und der Zusammenstellung eines Industrieprodukts. Hier müssten im Interesse der Konsumenten neue Möglichkeiten gefunden werden, trotz oder gerade durch den Einsatz von Nahrungsmitteltechnik eine gesunde, den verschiedenen Bedürfnissen entsprechend differenzierte und geschmacklich ausgewogene Kost anzubieten. Um Kindern ein bewussteres Empfinden für Nahrung zu vermitteln, führen einige Schulen lebenspraktische Unterricht durch, indem morgens gemeinsam ein Frühstück zubereitet und verzehrt wird.

In der Deutung von Bedürfnissen nach körperlicher Bewegung sind viele Menschen völlig ungeübt und wissen nicht, mit welcher Bewegung sie eine momentane Anspannung beheben können. Das sensitive Potential müsste auch die Zeitgestaltung des institutionalisierten Schul- und Arbeitstags umfassen, um mehr Gelegenheiten zu schaffen, zwischendurch Bewegungsbedürfnisse auszuleben und Körpererfahrungen aufzubauen (vgl. Kapitel 5).

Zum Kriterium der »Achtsamkeit« bezüglich der introvertierten Tendenz

Mit einer achtsamen Grundhaltung werden ständig Reizangebote registriert und auf die innere Wirklichkeit bezogen. Jede geringfügige Veränderung veranlasst zum Nachsinnen. Das Kriterium der Achtsamkeit als Bereitschaftshaltung der introvertierten Tendenz regelt noch vor dem Bewusstwerden den Zugang zum Innersten. Das gilt gegenüber Reizen die von außen kommen wie das freundliche Lächeln oder die Körpersprache eines Gesprächspartners, die Farbigkeit eines Plakats, die Düsterheit einer Bahnstation ebenso wie bezüglich der Reize, die von innen kommen wie Tagträume oder assoziative Phantasievorstellungen. Im Zustand der introvertierten Achtsamkeit geht das Gefühl für Zeit leicht verloren. Während die Zeit im inneren Empfinden verfliegt und übervoll scheint, kommt einem Beobachter das Verhalten eines achtsamen, introvertierten Menschen sehr langsam vor.

Ob ein Mensch in einem Moment achtsam oder unachtsam ist, hängt zum größten Teil von seiner inneren Verfassung ab. Jemanden aus einer unachtsamen, oberflächlichen Haltung herauszureißen, ist relativ schwer. Ein geeignetes gestalterisches Mittel hierfür sind auffällige Kontraste. Ästhetische Elemente erzeugen durch starke, mit dem Kontext kontrastierende Reize ein Wirkungspotential, das sich deutlich vom übrigen Reizangebot unterscheidet und dadurch wenigstens leichter Beachtung findet und die Chance erhöht, in die innere Wirklichkeit aufgenommen zu werden.

Beispiel für das animative Potential von Design

Balladen von Hard Rock Gruppen wirken deshalb besonders eindringlich, weil sie in deutlichem Kontrast zu dem Outfit und der üblichen Musik dieser Bands stehen. Eine ganzseitige Bildanzeige in der typografisch sehr zurückhaltend gestalteten FAZ scheint eher beachtenswert, als wenn sie auf einer Plakatwand positioniert wäre. Schwarzweiß gedrehte Werbefilme wecken die Achtsamkeit, weil sie irgendwie tiefsinniger zu wirken scheinen als das bunte Drumherum.

Gestalterisches Ziel sollte es nicht sein, Menschen kurzfristig aus ihrer Unachtsamkeit für die Qualität der inneren Wirklichkeit, sei es der eigenen oder der von anderen Menschen, durch schockierende Ästhetik aufzurütteln, sondern vielmehr mittels differenzierter ästhetischer Elemente dazu beizutragen, Achtsamkeit zu wecken, die langfristig bestehen bleibt und zur Stärkung des Selbst beiträgt. Die Werbekampagne der Firma Benetton (vgl. Toscani, 1996) fällt auf, weil sie mit den Gesetzen des Werbegenres kontrastiert und Anstöße für Diskussionen zu aktuellen Problemen gibt. Sie ist, in Ausklammerung der Diskussion um ihre Eignung zur Verkaufsförderung, ein Beispiel für die gelungene Verbindung von kurzfristigem Aufrütteln aus der Unachtsamkeit und langfristigem Aufrechterhalten der Achtsamkeit für die thematisierten Probleme durch gestalterische Mittel.

Designer sollten zudem ihre eigene Bereitschaft hinsichtlich der introvertierten Tendenz kritisch hinterfragen, um einerseits zu verhindern, dass sie sich unachtsam und oberflächlich gegenüber einer Thematik, die sie gestalterisch umsetzen wollen, verhalten oder sich andererseits zu achtsam für Unterschiede selbstverliebt in Details verlieren.

Zum Kriterium der »Zuordnbarkeit« bezüglich der explorativen Tendenz

Die Stabilisierung von Wichtigem im kognitven Subprozess der Einschließung ist auch bezüglich der explorativen Tendenz mit ihrem Drang nach Neuem relevant. Wenn ein Reizangebot kognitive Entfaltungsmöglichkeiten für die explorative Tendenz anbietet, kann daraus eine längere und wiederholte Beschäftigung mit dem Reizangebot und eine zunehmend geordnetere Interaktion erfolgen. Diese Geordnetheit ergibt sich aus der individuellen explorativen Vorgehensweise, wird aber durch allgemeine subliminale Mechanismen, wie beispielsweise den Gestaltgesetzen beeinflusst. Das impulsive Potential von Design kann das Zustandekommen dieser Geordnetheit fördern, indem es mittels ästhetischer Elemente die Reizangebote den Organisationsmechanismen der Kognition entsprechend räumlich strukturiert und zeitlich staffelt. Hierbei liegt die Schwierigkeit darin, die richtige Gewichtung zwischen zu hohen Ordnungsvorgaben, die für die explorative Tendenz schnell langweilig werden und zu niedrigen Vorgaben, die alle Ordnungsarbeit allein der explorativen Tendenz überlassen, zu finden. Der Charakter der explorativen Tendenz, als nach Neuem suchende Aktivität muss trotz der Gestaltung eines Reizangebots nach dem Kriterium der Geordnetheit erhalten bleiben, um diese Tendenz nicht zu stark abzubremsen. Nur mit dem Spielraum für eigenständige Ordnungsarbeit kann individuell Wichtiges in den kognitiven Erfahrungshintergrund einfließen und zur spezifischen Persönlichkeitsbildung mitbeitragen.

Beispiel für das impulsive Potential von Design

Durch die Schriftkultur hat sich der lineare Aufbau von Informationen weit verbreitet. Vom Rezipienten fordert er ein entsprechend lineares Abarbeiten. Dagegen ermöglichen verbesserte Drucktechniken, Fernsehen und inzwischen auch die Multimedia-Technologie vielfältige ästhetische Umsetzungen. Designer und Rezipienten müssen erst den Umgang mit diesen Möglichkeiten lernen. Solange es beispielsweise nur ein Fernsehprogramm gibt, bleibt dem Zuschauer dessen eigene Filterwirkung verborgen. Er folgt mit seinem Interesse der Ordnung einer Nachrichtensendung und verlässt sich darauf, dass alles gezeigt wird, was für ihn von Wichtigkeit ist. Wenn stattdessen mehrere qualitativ anspruchsvolle Programme konkurrieren muss der Rezipient seine konsumierende Haltung aufgeben und selber auswählen. Zunächst kann er durch die Möglichkeit des Zappens zwischen verschiedenen Programmen und Sendungen zufällig für ihn Wichtiges entdecken. Mit zunehmender Stärkung seiner explorativen Tendenz erwächst aus diesem zufälligen Verhalten vielleicht eine individuelle Geordnetheit in der Interaktion mit dem Medium. Auf diese Weise wird die Macht derjenigen, die bestimmen, was Wichtigkeit erlangen soll, aufgesplittet.

Die Gestalter sind gefordert, differenzierte und für die explorative Tendenz interessante Entscheidungskriterien anzubieten. Logos von Fernsehstationen, Inserts zu den Sendungen, Intros für die thematische Einleitung usw. markieren Aufgabenfelder für Kommunikationsdesigner, die bisher in der Ausbildung verstärkt zu behandeln sind.

Zum Kriterium der »Einbindbarkeit« bezüglich der introvertierten Tendenz

Kognitiv Wichtiges wird bezüglich der introvertierten Tendenz durch das Kriterium der Einbindbarkeit in den Teilprozess der Kognition eingeschlossen. In Phasen der introvertierten Besinnung entstehen charakteristische, sinnliche Vorstellungen zu erinnerten Erlebnissen, die wichtig für die introvertierte Tendenz sind. Zum Beispiel sind in dem Bild der Straße, in der man aufgewachsen ist, ganz bestimmte Details eingebunden. An diesen macht sich das Typische einer Erinnerung fest. Das Wiederfinden ähnlicher Details im derzeitigen Lebenskontext, die ebenfalls wichtig genommen werden, erweitert und stabilisiert diese Eingebundenheit und vergrößert und vertieft auf diese Weise den kognitiven Erfahrungsbereich der introvertierten Tendenz. Die Innenwelt wird dann nicht als eng, leer und beschränkt erlebt, sondern als weit, voll und reichhaltig. Sie bietet viele Ansätze für weitere Einbindungen an, wirkt also auch bereichernd auf das Kriterium der Bekanntheit zurück und schafft somit eine größere Basis für Toleranzfähigkeit gegenüber Unbekanntem.

Das animative Potential von Design kann durch wiederholte, aktualisierte oder modifizierte Präsentation der in der Erinnerung lebendigen sinnlichen Anschauungen dem Kriterium der Einbindbarkeit entsprechen. Dazu muss es so beschaffen sein, dass es überhaupt differenzierte ästhetische Wertungen zulässt. So ist zum Beispiel die Beliebigkeit der Ortes, die Gudrun Scholz anhand des CI-Konzepts der Hilton-Hotels in den 60er Jahren, deren Zimmer auf der ganzen Welt gleich eingerichtet waren, illustriert (vgl. Scholz, 1989), ungeeignet über eine vordergründige Orientierungserleichterung hinausgehend, innerliche Nähe und Wichtigkeit aufkommen zu lassen und dadurch das Kriterium der Einbindbarkeit zu erfüllen.

Menschen, die häufig umziehen, können dadurch den Bedarf der introvertierten Tendenz an einem sicheren Vertrauenssanker schwer an freundschaftlichen, zwischenmenschlichen Bindungen ausleben. Dies gilt ebenso für Menschen, die sich neu kennenlernen und eine enge Beziehung aufbauen, zu der es auch gehört, Vorstellungen der Innenwelt einander zugänglich zu machen und gegenseitig einzubinden. Hier kommt dem animativen Potential verstärkt Bedeutung zu. Mit Hilfe des Kriteriums der Einbindbarkeit entscheidet die introvertierte Tendenz intuitiv darüber, was zu der Innenwelt gehören soll und was ausgeschlossen bleibt. Die innerliche Einbindung von ästhetischen Reizen in den sortierenden Teilprozess der Kognition schließt die Verwendung derselben ästhetischen Elemente in völlig verschiedenen Kontexten aus. Diese mit der Einbindbarkeit einhergehende Festlegung ist hinsichtlich dem animativen Potential von Design zu berücksichtigen.

Beispiel für das animative Potential von Design

Das Kriterium der innerlichen Einbindbarkeit von wichtigen, das persönliche Leben begleitenden ästhetischen Reizen lässt sich mit vernünftigen Argumenten schwer fassen. Als Zeitungsleser beispielsweise zum ersten Mal mit serifenloser Schrift konfrontiert wurden, riefen sie ablehnend, diese Schrift sei »grotesk«. Der Versuch von Adolf Hitler, eine neue Schrift für Zeitungen einzuführen, scheiterte an dem Protest der Leser, die ihre Zeitung unabhängig von jedem Inhalt nicht akzeptierten und die Frakturschrift zurückforderten. Von jüngeren Menschen wird diese Schrift fälschlicherweise hauptsächlich mit der Zeit des Nationalsozialismus verbunden und es würde trotz besserem Wissen größte Ablehnung hervorrufen, sie beispielsweise für Werbung einzusetzen.

Der Erfolg von Ostalgie-Veranstaltungen einige Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung lässt sich weniger politisch, als vielmehr durch die innerliche Einbindbarkeit von bestimmten ästhetischen Gestaltungsmitteln, von Grußformen über die Lokaleinrichtung bis zum Geschmack der gewohnten Getränke begründen.

Firmen und Vereine versuchen davon zu profitieren, dass ihre Produkte, die im nahen Lebenskontext stehen mit der Zeit innerlich eingebunden werden, indem sie diese durch weitere Produkte ausbauen. Eine Adaption von Gummibärchen wird als Leuchte angeboten. Die Milka-Kuh gibt es als Stofftier. Ob es jedoch gelingt, allein durch massive Werbepräsenz ein Produktimage aufzubauen, das dem Kriterium der Einbindbarkeit entspricht, ist zweifelhaft. Am ehesten gelingt diese Beeinflussung noch bei Kindern. Doch auch diese sind nicht beliebig beeinflussbar Wichtig für das Entstehen von Eingebundenheit ist die persönliche Erfahrung mit dem Design eines Gegenstands. So empfinden viele Menschen aufgrund schöner Erinnerungen und der Überzeugung von guter Qualität noch eine innere Eingebundenheit gegenüber dem alten VW-Käfer-Modell, dessen Namensgebung zusätzlich das animative Potential bereichert. Die Neuauflage, der Beetle, kann den alten Erfolg nur auf dem amerikanischen Markt fortsetzen. Dort verbinden die Käufer des Beetle mit dem Design das positive Lebensgefühl der Jugend, während der Käfer für viele deutsche Autofahrer nur ein normales, kostengünstiges Fahrzeug war. Der Verkaufserfolg von Produktserien im Retro-Design wie Hifi-Produkte der Marke Dual oder aus den Anfangszeiten der industriellen Produktion wie Radiogeräte aus Bakelit basiert auf der kognitiven Einbindbarkeit des Designs dieser Produkte, die durch den Kauf eines früher vertraut gewesenen Produkts wieder aufgefrischt wird.

Zum Kriterium der »Verwachsenheit« bezüglich der somatischen Tendenz

Das Kriterium der Verwachsenheit bezeichnet die stabile Einschließung von allem, die somatische Tendenz betreffendem Wichtigen durch das Körperschema. Beispielsweise werden Schmerzen die phasenweise wiederkommen nicht nur emotional erlebt. Wenn sie kognitiv erklärbar sind, verwachsen sie schließlich mit dem Körperschema und erscheinen weniger unangenehm. Ebenso stellt sich zu anderen wiederkehrenden wichtigen Erfahrungen der somatischen Tendenz eine selbstverständliche Verwachsenheit ein. Das sensitive Potential von Design unterstützt diese Verwachsenheit.

Beispiel für das sensitive Potential von Design

Menschen, die körperlich arbeiten verwachsen nach einiger Zeit mit ihren Arbeitsgeräten. Ihre Motorik und ihr Krafteinsatz ist genau auf die Erfordernisse des Geräts abgestimmt. Hierdurch können Haltungsschäden auftreten, die von den Betroffenen nicht unbedingt schmerzhaft erlebt werden, denn man hat sich an die mit der Arbeit verbundenen Körpergrenzen gewöhnt. Trotzdem kommt dem sensitiven Potential von Design in diesem Fall die Aufgabe zu, durch Neuentwicklung der Geräte diesen negativen Auswirkungen auf den Körper entgegenzuwirken. So kamen viele kräftige LKW-Fahrer auch ohne Servo-Lenkung mit ihren Fahrzeugen zurecht und waren mit ihrem Gefährt verwachsen, doch inzwischen erleichtert die Gestaltung der Fahrerkabinen auch weniger kräftigen Fahrern die Arbeit.

Viele Sportler, die für große Firmen werben, benutzen individuell auf ihre Anforderungen zugeschnittene Spezialanfertigungen der Produkte. Für sie ist es von Wichtigkeit, ihre Motorik exakt auf die erforderlichen Bewegungsabläufe hin zu trainieren und mit ihren Sportgeräten völlig verwachsen zu sein. Jede Umstellung durch neue Materialeigenschaften oder Maßveränderungen der Geräte muss durch vermehrtes Üben kompensiert werden.

Als Stradivari des Pop wird Jerry Auerswald im Zeit-Magazin (vgl. Die Zeit, Nr. 20, 1997) bezeichnet. Er spielt selbst Gitarre und baut Instrumente, die speziell für die Fingertechnik und die Motorik seiner bekannten Kunden konzipiert sind. Das sensitive Design des Gitarrenbauers geht auf die Verwachsenheit der Musiker mit ihren Instrumenten ein. Dadurch können Gitarristen während einem Konzert mehrere unterschiedlich klingende Instrumente benutzen, ohne die Handhaltung bei jedem Wechsel umstellen zu müssen.

Zum Kriterium der »Entfaltbarkeit« bezüglich der explorativen Tendenz

Sinnhaftigkeit kommt in Bezug auf die explorative Tendenz in Form von Entfaltbarkeit dadurch zum Ausdruck, dass das Streben nach Entdeckungen nicht weiter zieht, sondern bei einem Reizangebot anhält, weil es Impulse für innerhalb dem momentanen Verhaltensfluss sinnvolle Aktivierungen findet, die zur weiteren Entfaltung anregen. Das impulsive Potential von Design muss in ungefährer Entsprechung zum Erfahrungsstand der Menschen, an die es sich richtet, Aktivierungsmöglichkeiten für die sinnhafte Entfaltbarkeit von Design durch die explorative Tendenz einbauen.

Beispiel für das impulsive Potential von Design

Museen versuchen durch neue Konzepte die explorative Tendenz von Besuchern stärker einzubeziehen. Es werden Ansatzpunkte zur eigenständigen Entfaltung von weiterführenden Informationen oder zum persönlichen Ausprobieren angeboten. Nicht die lückenlose Wissensvermittlung zu einem Fachgebiet, sondern die Anregung zur explorativen Entfaltung von persönlichen Interessensgebieten ist das Ziel aktueller Ausstellungskonzepte. Die Ausstellung zum »Mythos Titanic«, 1998 in Hamburg, zeigt eine Vielfalt von unterschiedlichsten Objekten, die mit der Titanic zusammenhängen. Es gibt keine vorgeschriebene Führung. Jeder Besucher kann innerhalb vielfältigen Impulsen seiner explorativen Tendenz folgend einen persönlichen Zugang zum Thema entfalten, indem er durch das Schiffsmodell geht, Berichte von Augenzeugen anhört usw.