Wertbestimmung > Zum Kriterium der »Niveaudifferenzierbarkeit« bezüglich der hierarchischen Struktur

Während bezüglich der integrativen Struktur die Ganzheitlichkeit als Wertungsprinzip implizit die kommunikative Dimension der ästhetischen Erfahrung beeinflusst, basiert die hierarchische Struktur und die daran orientierte Kommunikation auf einem explizit definierten Wertungsprinzip, das durch unterschiedlichste Zielvorgaben konkretisiert sein kann. Einige Individuen schaffen es der expliziten Zielvorgabe näher kommen und andere entfernen sich von ihr. Die Zielvorgabe ist nicht für alle sozialen Akteure gleichermaßen erreichbar. Zudem erfordert eine der Zielvorgabe entsprechende Beteiligung spezielles Vorwissen, das nicht jeder erwerben kann. Deshalb führt diese Wertbestimmung zu einer Ungleichheit in der Kooperation der Individuen. Zum wesentlichsten Inhalt der Erfahrung wird es, die eigene Position im Vergleich zu den anderen zu bestimmen. Deshalb ist das Kriterium der Niveaudifferenzierbarkeit für Menschen, die sich primär an einer hierarchischen Struktur orientieren, so wichtig.

Im Unterschied zum Kriterium der Ganzheitlichkeit, das im Sinne der erkenntnistheoretischen Richtung des naiven Realismus ohne weitere Reflexion mit dem Glauben an ein unmittelbares Grundverständnis zwischen den Menschen und auch zwischen Mensch und Umwelt verbunden wird, erreicht das Kriterium der Niveaudifferenzierbarkeit bezüglich der hierarchischen Struktur ein höheres Abstraktionsniveau. Konkretisierungen in Form eines entsprechenden Potentials von Design sind nicht bereits im alltäglichen sozialen Miteinander wie durch das kollektive Potential von Design gegeben, sondern müssen grundsätzlich erst entwickelt werden.

Logisches Denken, präzises Befolgen von einmal formuliertem Wissen, exakter Umgang mit Handwerkszeug und ranggemäße Zuordnung des individuellen Vermögens innerhalb der Niveaudifferenz, gehören zu diesem ästhetischen Kriterium. Für jemanden, der sich auf ein bestimmtes Wertungsprinzip eingeschworen hat und seine ästhetische Erfahrung an der diesbezüglichen Perfektion aller Komponenten ausrichtet, ist es oft nicht mehr möglich auf kritische Distanz zu gehen und erstens zu bemerken, dass neben dem gewählten Wertungsprinzip noch alternative Prinzipien stehen sowie zweitens deren mögliche Gleichwertigkeit anzuerkennen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich Werten wie dem Einkommen oder dem Bildungsstatus, sondern kann auch die nach spezifischen Zielvorgaben entstanden Niveaudifferenzierung innerhalb wissenschaftlichen Systemen beeinflussen. Die Konzentration auf eine dominante Wertbestimmung erschwert einen Paradigmenwechsel (vgl. Kuhn, 1976).

Eine an der hierarchischen Struktur orientierte ästhetische Erfahrung sucht nach Designangeboten, die dem jeweils erreichten Niveau Ausdruck geben. Das distinktive Potential von Design muss daher, um dem Kriterium der Nieveaudifferenzierbarkeit zu entsprechen, Abstufungen hinsichtlich dem repräsentativen Status wie Funktionsqualität oder handwerklicher Präzision ausdrücken.

Beispiel für das distinktive Potential von Design

Ein Merkmal des distinktiven Potentials von Design ist die niveaugerechte, spezialisierte, ohne Vorwissen nicht erschließbare Verkoppelungen von Form und Inhalt. Deshalb sind Materialien, Konstruktion und Fertigungstechniken nach expliziten Regeln anzuwenden. Kein Detail ist zufällig, jedes Gestaltungselement repräsentiert eine Bedeutung. Bezüglich dem distinktiven Potential von Design entspricht jedem ästhetischen Ausdruckselement ein bestimmter Wert auf einer gedachten Skala zur Niveaudifferenz. Insbesondere im Automobilbereich gibt es fein abgestufte Unterschiede in der Ausstattung der Typenklassen. Wie wichtig dieses distinktive Potential von Design für die Kunden ist, zeigt der Markterfolg von Accessoires, die mit dem Produkt Auto wenig zu tun haben, aber sich dessen jeweiligem Niveau und Sozialprestige zuordnen lassen. Diese Produkte geben auch einem Kunden, der sich das zugehörige Auto nicht leisten kann das Gefühl, wenigstens mit der richtigen Sonnenbrille und der aus seiner Sicht standesgemäßen Lederjacke ausgestattet zu sein.

Durch solche Zuordnungen entsteht ein Stil, der die niveaugerechte kommunikative Dimension der ästhetischen Erfahrung prägt. Solange der Zusammenhang der Ausdruckselemente mit einem Niveau durch entsprechende Kennerschaft der sozialen Akteure lebendig gehalten wird, gilt dieser Stil zwar als ästhetischer Kanon, der als Idealzustand anzustreben ist, jedoch ständig kleine Veränderungen erfährt und in der gewünschten Perfektion oft unerreichbar bleibt. Kommt es aber zu einer Absolutsetzung der Zielvorgabe, dann erstarren die kleinen Veränderungsprozesse und das Erkennen der zugehörigen Niveaudifferenz erfordert immer weniger spezifische Kennerschaft, bis schließlich ein Bruch der spezifischen Einheit von Form und Inhalt und die Mutation des lebendigen Stils zu einem inhaltsleeren Formalismus eintritt.

So wählen viele Menschen, die schnell zu Wohlstand gekommen sind, sich an der hierarchischen Struktur orientieren und ihren neuen Status durch den Erwerb teurer Produkte präsentieren wollen, nicht die wirklich wertvollen Stücke aus, sondern diejenigen, die von jedermann für solche gehalten werden. Beispielsweise ist dies am Konsumverhalten wohlhabender Bürger ehemaliger Ostblockländer zu beobachten, welche sich mit überdimensionierten Möbeln, die teils aus Spanplatten gefertigt sind, ausstatten. Ihnen fehlt zwar die erforderliche ästhetische Kennerschaft, die sie bräuchten, um von den Insidern dieses Niveaus anerkannt zu werden, dies schadet aber nicht, wenn die Deutlichkeit und leichte Erkennbarkeit des nun erreichten Niveaus für gesellschaftlich weiter unten stehende Menschen ihres Landes Priorität hat.