Verbindung > Zum Kriterium der »Distanziertheit« bezüglich der hierarchischen Struktur

An Systemen mit hierarchischer Struktur kann nur derjenige partizipieren, der sich in seine Rolle fügt und ständig Leistungsfähigkeit demonstriert. Die Vorhersehbarkeit seines Aufstiegs und die Entlastung von Eigenverantwortung durch die Vorgaben des Systems belohnt in gewisser Weise diese Anstrengungen. Die Orientierung an der hierarchischen Struktur aufzugeben, bedeutet, diese Vorteile der Sicherheit für die Zukunft und der Abgabe von Verantwortung zu verlieren. An der hierarchischen Struktur Orientierte, beziehen auch ihre persönliche Stärke aus der Beteiligung an dem sozialen System. Sie wissen, dass sie ab einem bestimmten Punkt ihre durch das System gegebenen Privilegien teilen müssten, falls die Zahl der Beteiligten zu groß würde. Deshalb ist ihre kooperative Verbundenheit durch eine vorsichtige Distanziertheit geprägt. Jeder möchte seine erreichte Position sowohl gegenüber anderen Beteiligten, als auch gegenüber eventuell neu Hinzukommenden halten und verbessern.

Durch diese Distanziertheit, die beispielsweise im Zurückhalten wichtiger Informationen und mangelnder Kooperation im Arbeitsprozess offensichtlich werden kann, leisten die Beteiligten indirekt einer zunehmenden Erstarrung des Systems Vorschub. Im Interesse des Erhalts eines hierarchischen Systems muss solch eigennützigen Bestrebungen mancher Beteiligter wiederum von anderen entgegengewirkt werden.

Von dem distinktiven Potential von Design wird bezüglich dem Kriterium der Distanziertheit erwartet, dass es Angebote bereit hält, welche geeignet sind, dem Distanzgefühl gegenüber anderen, nicht dem eigenen Niveau entsprechenden oder als Konkurrenten empfundenen Mitbeteiligten Ausdruck zu geben.

Beispiel für das distinktive Potential von Design

Kulturelle Eliten schotten sich gegen zu großes Interesse, zu viel Verständnis oder Zustimmung ab. Sie begegnen einem Künstler, der schnell ein breites Publikum gewinnt mit Vorsicht und gestehen seinen Werken, die ja den vermeintlich niedrigen Massengeschmack treffen, keine hohe Qualität zu. Kennerschaft bezüglich elitärer Kunstformen wie Theater oder Oper wird generell höher eingestuft als hinsichtlich Film oder Musical. Designobjekte mit vormals distinktivem Potential, die sich zu sehr im Alltag verbreiten und der Masse zugänglich sind, gelten beinahe als entweiht. So zeigen sich wichtige Geschäftsleute nicht mehr mit ihren Handys, seitdem diese eine weite Verbreitung gefunden haben.

Eliten steigern ihren Status und den behaupteten Wissensvorsprung durch Distanzierung im Vergleich zu den Außen- oder Untenstehenden oder pauschal gegenüber der sogenannten Masse. Mit Bezug auf John Carey wäre die provokante These aufzustellen, dass viele Vertreter der modernen Literatur die Kultur nur deswegen zum höchsten Gut erhoben haben, um den Geistesadel durch das Kriterium der Distanziertheit und das entsprechende distinktive Potential von Design vom Normalsterblichen abzuheben (vgl. Carey, 1996). Kultur verdient dann nur dasjenige genannt zu werden, was einer hohen Stufe des distinktiven Potentials von Design entspricht.

Auch bezogen auf Design als soziales System mit hierarchischer Struktur ist ein ähnlicher Hang zur Distanzierung und zur Ausbildung eines ästhetischen »Insidertums« festzustellen. Etablierte Designer tragen entgegen besserem Wissen dazu bei, den Mythos ihrer Genialität und besonderen Stellung innerhalb der disziplinären Hierarchie gegenseitig aufzuschaukeln und bedienen sich gleichzeitig im Ideenpool des Nachwuchses. Indem diese aufgebauschte Hierarchie Akzeptanz findet weil es genügend Designinteressierte gibt, die auch gerne zu den »erfolgreichen Kreativen« gehören würden, wird sie weiter gestärkt und erzeugt innerhalb dem gesättigten Markt bereits eine spezielle Zielgruppe, die sich von Design für Designer angesprochen fühlt.