Belohnung > Zum Kriterium der »Interessenvertretbarkeit« bezüglich der polyvalenten Struktur

Die drei Strukturen sind nicht als einander ausschließende gegensätzliche Konzepte gedacht. Vielmehr gelten einige Einflussgrößen in allen Strukturen. So ist auch das Individuum in der polyvalenten Struktur fremdbestimmt. Das Ausmaß dieser Fremdbestimmung ist jedoch vergleichsweise klein. Zwar ist keine ausschließliche Selbstbestimmung möglich, aber die individuelle Orientierung zur Verantwortung führt zu selbständiger Urteilsfähigkeit und nicht zum Abwälzen der Verantwortung durch Akzeptanz der meist bereits fixierten und eher fremdbestimmten Werte eines sozialen Systems. Bezüglich der drei behandelten Strukturen hat das Individuum hier die stärkste Position und den größten Freiraum für die Individuation. Doch es ist auch gefordert, Urteilsfähigkeit zu entwickeln und erhält schließlich in einem dritten Subprozess im Teilprozess der Partizipation, der Belohnung, die Chance, seine eigenen Interessen zu vertreten und aktiv seine Erfahrungen mitzugestalten. Das Kriterium der Interessenvertretbarkeit wertet, inwieweit die Vertretung spezieller Interessen in Hinsicht auf ein soziales System zugelassen und gefördert wird.

In der Möglichkeit der individuellen Interessenvertretung liegt die spezifische Attraktivität der Orientierung und Partizipation an der polyvalenten Struktur insbesondere für kreative, aktive Menschen. Das partizipative Potential von Design erleichtert das Kriterium der Interessenvertretbarkeit der an einem sozialen System kommunikativ Beteiligten durch die Offenheit für alternative Zielsetzungen und Entwicklungen.

Beispiel für das partizipative Potential von Design

Sogar der Bereich der Verkehrszeichen lässt sich ein stückweit dem partizipativen Potential von Design öffnen. So erlaubte die Stadt Erfurt leider nur solange, bis der übergeordnete Gesetzgeber tätig wurde, die Anbringung witziger Varianten von Männchen auf Ampelblenden. Diese entstanden im Rahmen einer Initiative zur Rettung des ostdeutschen Ampelmännchens, nachdem dessen Verlust als kollektives Potential im Alltag durch die Übernahme der westdeutschen Variante im Zuge der Wiedervereinigung einigen Menschen bewusst wurde.

Das partizipative Potential von Design lässt Ansatzpunkte für die Interessenvertretung von Einzelpersonen oder Gruppen zu. Beispielsweise entwarf ein Berufsschullehrer mit seinen Schülern einen sehr einfachen, kostengünstigen Solarkocher für Entwicklungsländer und gründete eine Firma, um diesen Kocher herstellen und vertreiben zu können. Diese Entwicklung und aktive Vertretung von Interesse für diese Thematik war nur wegen der offenen Organisation der Schule und Lerninhalte möglich. Das Produkt selbst ist stärker nach den Kriterien des kollektiven Potentials von Design gestaltet.

Auch die Beteiligung an der Disziplin Design als einem sozialen System kann durch das partizipative Potential und die Orientierung an der polyvalenten Struktur gekennzeichnet sein. Das heißt, Designer sind nicht verpflichtet, einen Formenkanon zu befolgen, sondern können ihre Ansichten verwirklichen, ihre Interessen vertreten. Mut zur Selbständigkeit hinsichtlich der Formulierung von Aufgaben und deren eigenverantwortliche Lösung ist eine wichtige Charaktereigenschaft von kreativ und engagiert tätigen Menschen in allen Bereichen, so eben auch im Design. Die ästhetisch innovativen Entwürfe von David Carson oder Philippe Starck, die zunächst aus deren jeweils subjektiven Interessen entstanden, zeigen vielen jungen Designer, dass es noch immer möglich ist, unter Absehung von drückenden, innerdisziplinären Verpflichtungen wie der Orientierung an einem minimalistischen ästhetischen Formenkanon, selbstgesetzte Interessen und gestalterische Ansprüche zu verfolgen.