Wertbestimmung > Zum Kriterium der »Ganzheitlichkeit« bezüglich der integrativen Struktur

Ganzheitlichkeit ist das elementare Wertungsprinzip der integrativen Struktur. Konflikte durch gegensätzliche oder einen Unterschied hervorhebende Kommunikationsbeiträge werden im Konsens aufgehoben. Nach dem Prinzip der Ganzheitlichkeit hängt alles mit allem zusammen. Menschen, die sich an diesem Wertungsprinzip orientieren oder es als wesentliche Konvention eines Systems implizit verinnerlicht haben, neigen dazu, mit einem Hang zur Romantik oder zum Mythos, das Kriterium der Ganzheitlichkeit zu universalisieren. Alles Leben entfaltet sich aus dieser Einheit und führt wieder zu ihr zurück. Individuen sind als Teile der umfassenden Ganzheitlichkeit zu verstehen. Mit gemeinsamer Orientierung an dem Wertungsprinzip der Ganzheitlichkeit überbrückt die zwischenmenschliche Kommunikation alle möglichen Unterschiede.

Ganzheitlichkeit in ihren verschiedensten Erscheinungsformen wird auch als Wertungsprinzip für die ästhetische Erfahrung übernommen. Hierin gründet eine Verweigerungshaltung gegenüber komplexem Fachwissen, sei es geistiger oder praktischer Art, wie Mathematik oder Technik. Dies stellt zum Beispiel R. M. Pirsig in seinem Roman »Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten« (dt. 1978) dar. Er schildert die Schwierigkeit eines Motorradfahrers, der eher dem integrativen Strukturtyp und damit dem Wertungsprinzip der Ganzheitlichkeit zugeneigt ist, sich mit der differenzierten Technik seines Fahrzeugs auseinanderzusetzen. Zu dem ästhetischen Kriterium der Ganzheitlichkeit gehört die Vorstellung der Möglichkeit eines unmittelbaren harmonischen Miteinanders. Das diesbezüglich spezifizierte Potential von Design sollte diese kommunikative Erfahrung der Harmonie unterstützen.

Weil schwer nachvollziehbare Spezialisierungen, ob funktionaler, materialspezifischer oder produktionstechnischer Art eher abgelehnt werden, zeichnet sich das kollektive Potential von Design durch eine unspezialisierte Gebrauchsfunktion, wenig veredelte Materialien, eine leicht herstellbare Konstruktion und eine tendenziell schlichte ästhetischer Anmutung aus.

Beispiel für das kollektive Potential von Design

Volkstümliche Musik, bei der jeder mitsingen und mitschunkeln kann, die Eckbank daheim, auf der sich immer noch ein Platz für unerwartete Besucher findet, Eintopfgerichte, die TV-Show für die ganze Familie oder die den gewöhnlichen Alltag thematisierende Serie vermitteln als kollektives Potential von Design das ästhetische Kriterium der Ganzheitlichkeit.

Selten sind solche Produkten oder Ausdrucksformen tatsächlich das Resultat von kollektivem Zusammenwirken. Dies ist für die Menschen, die sich an der integrativen Struktur orientieren, meist weniger wichtig. Sie akzeptieren ebenso Produkte, die gezielt so gestaltet sind, als wäre ihr Harmonie ausdrückendes Design kollektiv entstanden, denn auch diese können das Zustandekommen und die Erhaltung von Harmonie fördern. So darf beispielsweise ein Volkslied auch neu komponiert sein. Der Erfolg von Guildo Horn im Jahr 1997 ist als ein Indiz für den großen Bedarf an dem Ganzheitlichkeit und zwischenmenschliche Harmonie ausdrückenden, kollektiven Potential von Design.