Evaluation > Zur Strategie der »Aufklärung« bezüglich der initiativen Option

Während die Strategie der Profilierung das Bestehende ausbaut und die gewohnte ästhetische Erfahrung durch die Schaffung resonanter Optionen bestärkt, öffnet die Strategie der Aufklärung ungewohnte Erfahrungsweisen und fordert die Entscheidungskompetenz der Rezipienten. Diese lernen dadurch, sich nicht von ästhetischen Angeboten überlisten zu lassen, sondern sie bewusst auszuwählen. Aufklärung meint in diesem Zusammenhang die Unterstützung zur selbständigen Urteilsfähigkeit, die nicht allein auf Rationalität beruht, sondern ebenso stark auf Kenntnis von Gefühlen.

Allein aus rationaler Sicht ist meist ein genügend hoher und abstrakten Beobachterstandpunkt einzunehmen, von dem aus das subjektive Gefühl, der freien Erfahrungsevaluation als Täuschung entlarvt werden kann. Ob die Wahl der Wohnungseinrichtung, des Urlaubsorts, der Kleidung, der Nahrungsmittel, der Fernsehsendungen, Kulturangebote, Bücher usw. betreffend, viele Entscheidungen sind entgegen dem subjektiven Bewusstsein, unbeeinflusst, individuell gewählt zu haben, zumindest in der Tendenz vorhersagbar. Doch gerade diese kleinen Entscheidungen sind für die Lebensqualität im Alltag und die ästhetische Erfahrung wesentlich und es stehen immer mehrere Alternativen zur Wahl. Die Fähigkeit, diese zu erkennen und nicht zeitlebens zwangsläufig in dem Wirklichkeitskonstrukt gefangen zu bleiben, in das ein Mensch zufällig hineingeboren wurde, sollte durch die Strategie der Aufklärung gefördert werden. Als eine der Entscheidungsalternativen ist ebenso das Verweilen in dem bisherigen Wirklichkeitskonstrukt abzuwägen.

Die emanzipative Perspektivität von Design kann der Strategie der Aufklärung dadurch entsprechen, dass es im Prinzip eine frei wählbare Zuwendung ermöglicht, also trotz gezielt geplanter ästhetischer Wirkungen den Rezipienten weder überrumpeln noch überlisten will. Designer sollten sich den Respekt vor der Wahlfreiheit und der bewussten, gefühlsbezogenen Erfahrungsevaluation des einzelnen bewahren, auch wenn es um vermeintlich kleine Entscheidungen geht. Denn diese können im subjektiven Empfinden große Bedeutung erlangen. Hier muss sich das verantwortliche Eintreten der Designer für ihr Tun bewähren, denn in diesem Punkt treffen sich ästhetische und ethische Argumente am engsten. Für jeden Menschen, ob in der Rolle des Designers oder des Nutzers, gilt es, zu erkennen, dass Entscheidungsfreiheit mit Verantwortungsbewusstsein verbunden ist.

Beispiele für die emanzipative Perspektivität von Design

Ähnlich einem Medikament das heute nur selten ohne Aufklärung über die Wirkung und ohne Zustimmung des Patienten verabreicht wird, müsste auch ein Rezipient vor der Präsentation eines ästhetischen Angebots über die mögliche Wirkung innerhalb der ästhetischen Erfahrung aufgeklärt werden, um freiwillig und verantwortlich mitentscheiden zu können.

Die perzeptive Qualität förderndes, auf die formative Aktualität ausgerichtetes Design sollte das Entstehen von reflektiver Sinnlichkeit, geschmacklicher Gemeinsamkeit und konkreter Dinglichkeit innerhalb der ästhetischen Erfahrung anregen, sie aber nicht ohne Vorwarnung überwältigen und somit jede bewusste Reflexion und Entscheidungsmöglichkeit, zur Annäherung oder zur Abwehr, ausschalten. Eine ästhetisch opulente Architektur und Ausstattung, die beispielsweise bei Schlössern oder auch Bankgebäuden zum Einsatz kommt, kann den unbedarften Besucher in Bann schlagen. Diese ganzheitliche Vereinnahmung der perzeptiven Qualität durch ästhetische Reize, demonstrativ betonte Gemeinsamkeit und zur unverrückbaren Macht aufgebauten Dinglichkeit, unterdrückt für den Besucher selbst unmerklich zunehmend jede eigenständige Aktivität.

Ebenso wäre beim Einsatz der evokativen Aktualität von Design zur Anregung der empathiven Qualität zu beachten, dass Gelegenheiten zur kurzen Distanznahme und innerlichem Rückzug bestehen. Insbesondere Filme können den Zuschauer zur Anteilnahme durch Lachen oder Weinen evozieren. Wenn die Dramaturgie den Zuschauer aber unentwegt durch ein Gefühlsbad treibt, ohne ruhige Phasen zur Besinnung auf das Selbstgefühl, die gegenwärtige Verbundenheit mit den anderen Kinobesuchern und dem eigenen Imaginieren von durch den Film inspirierten virtuellen Inszenierungen einzubauen, wird der Zuschauer völlig vereinnahmt und fühlt sich am Ende ausgebrannt.

Auch hinsichtlich der prospektiven Aktualität zur Unterstützung der imaginativen Qualität ist es wichtig, Entscheidungsmöglichkeiten in Sinne der Strategie der Aufklärung offen zu halten. Daher ist die prospektive Aktualität von Design nicht mit dem linear ausgerichteten, avantgardistischen Anspruch, der beispielsweise die Designer der Moderne erfüllte, gleichzusetzen. Dieser würde die Richtung für den fiktiven Selbstentwurf, die projektive Einigkeit und die virtuelle Inszenierung zu stark vorgeben und anstatt zur selbstbestimmten Entfaltung imaginativer Qualität zu verhelfen, jedermann zum Nachläufer degradieren.