Selektion > Zur Strategie der »Universalisierung« bezüglich der resonanten Option

In historischen Phasen von durch Naturgewalten ständig bedrohten Lebensbedingungen war es notwendig, die soziokulturelle Selektion von Erfahrung aufgrund der praktischen Bedeutung, die sie für das Überleben haben konnte, zu vereinheitlichen, um als starke Gemeinschaft die Gefahren zu bewältigen. Diese Strategie zur Sicherung der Lebensbedingungen stellt heute keine Notwendigkeit mehr dar. Zudem besteht ein Überfluss an Erkenntnissen, sodass die Hütung ihrer unverfälschten Weitergabe nicht mehr überlebenswichtig ist und mit weniger Aufwand gesichert werden kann. In Museen, Bibliotheken oder dem World Wide Web ist für jedermann zugänglich zu recherchieren, welche Erkenntnisse verschiedene Kulturen in den vergangenen Jahrtausenden aus ihren Erfahrungen selektierten. Es ist möglich zu analysieren, was seither zu einem Erfahrungsbereich an modifizierenden oder völlig neuen Erkenntnissen hinzugekommen ist sowie bessere und schlechtere Erfahrungsselektionen zu vergleichen. Angesichts dieser vorhandenen Vielfalt von Erkenntnissen zu ähnlichen Erfahrungsbereichen, die sich in der Lebenspraxis gleichermaßen bewährt haben, entbehrt das strikte Beharren auf der unveränderlichen Stabilität, der Absolutheit einer Erkenntnis jeder Notwendigkeit. Auf einen Problembereich bezogene, unterschiedliche Erkenntnisse können als prinzipiell gleichwertig bewahrt und für unterschiedliche Interpretationen oder weiterentwickelnde Erneuerungen bereit gehalten werden. Trotzdem entscheiden sich viele Menschen für die Sicherheit und Stabilität versprechende resonante Option.

Die resonante Option kann bezüglich der sozialen Erfahrungsselektion durch Ausrichtung der korrespondierenden interpretativen Perspektivität von Design auf die Strategie der Universalisierung verwirklicht werden. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich die drei typischen sozialen Organisationsstrukturen (vgl. Kapitel 4.3) hinsichtlich ihrer Eignung für eine Beeinflussung durch die Strategie der Universalisierung und die interpretative Perspektivität von Design unterscheiden.

Beispiele für die interpretative Perspektivität von Design

Dominiert die integrative Struktur innerhalb einer Kultur, so drückt diese fast ohne wertende Selektionen vorzunehmen die Zusammengehörigkeit aller Menschen, die sich auf sie beziehen aus. Hierzu passt die Strategie der Universalisierung. Die interpretativen Perspektivität von Design kann rücksichtsvoll auf die Unterschiede der Individuen eingehen. Mittels der Strategie der Universalisierung der sozialen Erfahrungsselektion entsteht eine umfassendere Einheit. Diese integriert individuelle Differenzen und lässt es zu, dass jeder nach seinen Kräften an der Fortführung der universellen Erfahrungsselektion beitragen kann. Nicht die Differenzen im Kleinen werden betont, sondern die Gemeinsamkeiten im Großen. Unter der interpretativen Perspektivität von Design ist langfristig die Komplexität des kollektiven Potentials von Design zu steigern, das heißt, der Lebensstandard und das Allgemeinwissen verbessern sich. Im Vergleich zu Beginn des Jahrhunderts, als nur wenige Gebildete aktiven Anteil an der Erfahrungsselektion hatten, ist in den westlichen Ländern heute der Großteil der Bevölkerung dazu fähig komplexe Alltagshandlungen eigenständig durchzuführen und beispielsweise selbst Auto zu fahren, Bankgeschäfte abzuwickeln, Behördengänge zu erledigen.

Überwiegen hierarchische Strukturen, dann formiert sich die kulturelle Erfahrungsselektion aus dem, bezüglich den gewählten Idealen, optimierten Wissen von Eliten. Als Extrakt der linearen Optimierung entsteht explizites Wissen, das zu verstehen aber entsprechendes Vorwissen voraussetzt, dessen Erwerb nicht jedermann zugänglich ist. Es bilden sich Wissenseliten, die beispielsweise wissenschaftliche Disziplinen repräsentieren und nicht miteinander in Verbindung gebracht werden können, weil sie je auf ihrer Linie optimiert sind. Die Tradierung und weiteren Optimierung dieser auseinanderklaffenden Wissensspitzen verlangt die Heranbildung nachrückender Eliten. Prozesse der Erfahrungsselektion werden von oben gesteuert. Dies zeigt sich dadurch, dass das als unwichtiger eingestufte Wissen den Menschen an der Basis der Hierarchien übertragen wird und alle Kräfte darauf konzentriert werden, einigen wenigen den Aufstieg zu ermöglichen. Durch die willkürliche Einstufung von Menschen sind konkurrierende Machtkämpfe um die Auswahlkriterien für relevantes Wissen und persönliche Aufstiegsberechtigung vorprogrammiert. Obwohl unterschiedliche Wissensebenen entstehen, wird die hierarchische Struktur von der Strategie der Universalisierung gestärkt. Zwar bildet jede Ebene für sich eine Einheit, diese ist aber an die umfassende, übergeordnete Einheit der hierarchischen Struktur als Ganzes gebunden. Die auf Universalisierung ausgerichtete Erfahrungsselektion einer hierarchisch strukturierten Gesellschaft verschlingt die humane Energie für die Tradierung ihrer Inhalte und lässt für Erneuerungen, Weiterentwicklungen und Diversifizierung immer weniger Freiraum. Ein Beispiel für das Scheitern einer Gesellschaft durch das Festhalten an einer hierarchischen Struktur kombiniert mit der Strategie der Universalisierung, ist der Untergang der ägyptischen Pyramidenkultur. Die Unterstützungswürdigkeit der Strategie der Universalisierung bezüglich der hierarchischen Struktur durch die interpretative Perspektivität von Design ist daher kritisch zu prüfen.

Bestimmt eine polyvalenten Struktur die Erfahrungsselektion, dann stehen Elemente aus verschiedenen Bereichen und Entwicklungsstufen nebeneinander. Dadurch werden spielerische, kreative Verknüpfungen von Erfahrungen möglich. Bezüglich der polyvalenten Struktur und dem partizipativen Potential von Design ergeben sich die Selektionskriterien für Pflege und Tradierung von Wissen nicht zwangsläufig aus dem Aufwand einer Elite, welche dieses Wissen erzeugte, sondern erfolgt mit Rücksicht auf gegenwärtige oder zukünftige Relevanz. Die Erfahrungsselektion lässt sich keinem Universalanspruch unterstellen. Parallel werden verschiedene Richtungen verfolgt und in Relation zu verantwortlich ausgewählten Erfordernissen ständig modifiziert, verworfen oder erneuert. An diesen Prozessen kann sich jeder in verschiedenen Formen und auf unterschiedlichen Ebenen, je nach seinen Fähigkeiten im Rahmen von Selbstverantwortung und Toleranz beteiligen. Deshalb ist die Strategie der Universalisierung und die zugehörige Umsetzung durch die interpretative Perspektivität von Design mit der polyvalenten Struktur inkompatibel.