Limitation > Zur Strategie der »Öffnung« bezüglich der initiativen Option

Wird die Strategie der Öffnung gewählt, ist es wichtig, diese mit der Einsicht voranzutreiben, dass jede Öffnung einer momentan registrierten Limitaion nach einiger Zeit an zunächst noch nicht erkennbare, neue Grenzen stößt. Dies zeigt beispielsweise die rasante Entwicklung der Informationstechnologie. Kaum sind leistungsfähigere Speichermedien produktionsreif, wird komplexere Software entwickelt, die bald wieder an die Grenzen der Speicherkapazität stößt. Die Wahl zwischen den Strategien der Einfügung und der Öffnung ist deshalb wiederholt zu treffen.

Die emanzipative Perspektivität von Design kann Menschen bei ihrem riskanten Schritt aus der sicheren und einschätzbaren Begrenztheit unterstützen. Die Öffnung einer Grenze darf die Betroffenen nicht überrumpeln, damit sie aktiv die Erweitereten Möglichkeiten nutzen können.

Beispiele für die emanzipative Perspektivität von Design

Die Reichweite der Wirksamkeit von medienbezogener Limitation ist von der Art des Mediums abhängig. Bereits durch die kleine Veränderung eines Mediums kann dessen begrenzende Wirkung auf die Erfahrungskreation ein Stück weit geöffnet werden. Dies zeigt die Entwicklungsgeschichte des Telefons von einem Medium mit zunächst in der Anwendung kontextueller Logik zu einem Medium, das sich zunehmend in ein Medium mit vorwiegend organischer Logik wandelt. So waren die ersten Telefonapparate meist im Flur fest an der Wand befestigt, sodass Telefonate an einem eher unfreundlich Ort in der Wohnung und im Stehen geführt wurden, was neben der Beachtung der Kosten sicher auch zu einem knapp gehaltenen Wortwechsel in Anpassung an das Medium Telefon beitrug. Im Sinne des situativen Potentials von Design wurden Standapparate gestaltet, die es mit einigen Metern Zusatzkabel ermöglichten, eine bequeme Stellung beim Telefonieren einzunehmen und in Ruhe sowie sprachlicher Ausführlichkeit zu telefonieren. Der Markterfolg von schnurlosen Telefonen und Handys zeigt, dass Menschen die Limitation, die ihnen durch ortsgebundene Telefonapparate auferlegt ist, durchbrechen wollen. In Zukunft wird das Telefonieren wahrscheinlich mittels eines kleinen Gerätes, das als Kombination von Ohr- und Halsschmuck zu tragen ist, erfolgen können und zum Medium mit organischer Logik mutieren, das außer den Gebühren von der technischen Seite her nur eine schwache Limitation für die Erfahrungskreation vorgibt. Eine stärkere Limitation bleibt durch das Medien-Schema, das ein Mensch mit dem Telefonieren verbindet, bestehen. Zahlreiche Forschungen zur Telekommunikation belegen, dass sich viele Menschen wegen fehlendem Blickkontakt zum Gesprächspartner bei Telefonaten verunsichert fühlen oder sich besser mit zusätzlichem Einsatz von Körpersprache und Redepausen ausdrücken können, als durch die auf verbale Kommunikation reduzierte Telefonsprache. Ihnen könnte in Zukunft das Bildtelefon zur Öffnung ihres negativ besetzten Telefon-Medien-Schemas verhelfen.

Das Dorfleben ist mit einer kontextuellen Logik verbunden, die es für Menschen ohne Auto erschwert, ihre Einkäufe zu erledigen, denn die örtlichen Tante-Emma-Läden sind meist nicht mehr rentabel zu betreiben. An dieser Problemstellung kann das situative Potential von Design mit Ausrichtung auf die emanzipative Perspektive ansetzten. Ein Pilotprojekt, das diese Limitation öffnen könnte, besteht bereits. Es läuft seit 1999 in einem Dorf in der Lüneburger Heide. Dort wurde ein Online-Laden eingerichtet, der ein kleines Sortiment an Waren bereithält und mit einem Großmarkt in der nächsten Stadt kooperiert. Die Kunden können die Ware entweder direkt in dem Laden einkaufen, falls diese noch vorrätig ist und zum Sortiment gehört, oder sie können ihre Einkaufswünsche in ein Computer-Terminal eingeben. Dieses sendet die Daten an den Großmarkt, von wo aus die Waren sortiert, in Rechnung gestellt und an den Kunden transportiert werden. Letzteres übernehmen die Angestellten im Wechsel und bringen die Ware auf dem Heimweg nach Ladenschluss zum Kunden.

Wie auf der Grundlage von Medien mit standardisierter Logik das zugehörige innovative Potential in Hinsicht auf die emanzipative Perspektivität von Design umgesetzt werden kann, demonstrierte der Finne Linus Torvalds. Er programmierte das Betriebssystem Linux und legte den Quellcode 1991 offen, worauf ihm viele Programmierer folgten. Das alle Computernutzer ein Betriebssystem benötigen und von wenigen Anbietern abhängig sind, war die Offenlegung des Quellcodes eine Anregung zur Emanzipation. Dass Torvalds 1999 die Goldene Nica für Computerkunst erhielt, die im Rahmen des Linzer Kunstfestival ars electronica vergeben wird (vgl. Die Zeit, Nr. 37 1999, S. 39), zeigt das Zusammenwachsen Wissenschaft und Kunst. Dieses Zeichen der Jury trägt dazu bei, Design von einem tradierten und reduzierten Kunstverständnis und der Diskussion um die Unterschiede von Design und Kunst oder die Beziehung zu industrieller Warenproduktion zu lösen. Dadurch wird die emanzipative Perspektivität von Design auf die Disziplin Design selbst angewendet.

Selektion > Zur Strategie der »Diversifizierung« bezüglich der initiativen Option

Die menschliche Gesellschaft ist nur idealisierend als Ganzes zu betrachten. Durch kommunikative Entwicklungsprozesse bilden sich vielfältige, veränderliche Ausformungen der typischen sozialen Organisationsstrukturen. Ästhetische Vorlieben, beispielsweise für geometrische, kantige Formen oder blumige Farben, verändern sich mit der Pesönlichkeitsentwicklung. Diese Lebensvielfalt erfordert die Bereithaltung vielfältiger Angebote für die ästhetische Erfahrung. Obwohl die Möglichkeiten für ästhetische Erfahrungen durch die Bedingungen der menschlichen Körperlichkeit eingeschränkt sind, macht es nach den vorangegangenen Überlegungen weder Sinn anzunehmen, dass manche ästhetischen Elemente zeitlos sind, noch dass andere für immer veralten. Es wird immer wieder neue Kombinationen und Deutungen von bereits bekannten ästhetischen Elementen geben.

Deshalb bleibt die an dem Ideal der Zeitlosigkeit orientierte, ästhetische Konzeption der Moderne wie der »Internationale Style« in der Architektur, die Bauhaustypografie in der visuellen Kommunikation oder die »Neue Sachlichkeit« für Gebrauchsgegenstände nur eine von anderen möglichen Ausformungen, welche mit dem Engagement für die emanzipative Perspektivität von Design entstanden. Doch der humanistische Kern des linearen Aufklärungsgedankens der Moderne geht nicht verloren, sondern wird im pluralistischen Denkansatz der Postmoderne in unterschiedlichen Ausformungsrichtungen weitergeführt (vgl. Welsch, 1987).

Die pluralistische Sehweise nimmt nicht eine einzige richtige, sondern viele, in sich geschlossene Weltsichten an, die sich nicht auf eine gemeinsame Grundlage ­ wie die biologische Konstitution, Denk- oder Sprachstrukturen ­ zurückführen lassen. Erfahrung, Denken, Sprache und Lebensform beeinflussen sich gegenseitig und führen deshalb zu vielfältigen Organisationsstrukturen und Traditionen innerhalb sozialer Systeme sowie im Denken und der Erfahrung sozialer Akteure. Dementsprechend gehen Theorien zum gesellschaftlichen Wandel nicht mehr von einer eindimensionalen gesamtgesellschaftlichen Weiterentwicklung aus. Durch die Parallelität von unterschiedlichen Lebensweisen als Ausdruck verschiedener Lebensziele hat die Idee der ästhetischen Moderne insoweit an Faszination verloren, als sie vorwiegend nur eine Entwicklungsrichtung, die auf mehr Rationalität abzielt, unterstützt. Die Annahme mehrerer gleichwertiger und paralleler Entwicklungsrichtungen beinhaltet gleichzeitig den Verzicht auf die alles umfassende Anführerrolle einer intellektuellen Avantgarde.

In Anknüpfung an Luhmann sind soziale Systeme als Produkte von Kommunikation zu definieren und von den personalen Systemen, die sich durch Bewusstsein auszeichnen und der Umwelt sozialer Systeme zugehören, zu unterscheiden. Um die Entwicklung sozialer Systeme beeinflussen zu können, muss eine Person an der systemspezifischen Kommunikation teilnehmen und ihren Beitrag in eine dem jeweiligen System entsprechende kommunikative Form bringen. Es ist also besonders wichtig, als Voraussetzung für diese Kommunikationskompetenz, Ausdrucksfähigkeit und Unterscheidungsvermögen zu entwickeln. Im vorliegenden Zusammenhang kann diese Ausdrucksfähigkeit sprachliche, nonverbale oder künstlerische Aspekte umfassen.

Korrespondierend zur initiativen Option und der Strategie der Diversifizierung sollte die emanzipative Perspektivität von Design den Menschen, an die es sich richtet, keine für alle gleichermaßen verbindlichen Angebote zur Erfahrungsselektion vorgeben. Vielmehr sollte sie zur Entwicklung selbständiger Urteilskompetenz und einer aktiv mitbetriebenen Selektion von Erfahrungen anregen.

Beispiele für die emanzipative Perspektivität von Design

Die Idee der Universalisierung als einer fortschrittsbezogenen Erfahrungsselektion, an der, mit Hinblick auf die integrative Struktur und das kollektive Potential von Design möglichst alle Menschen teilhaben sollten, verliert zunehmend an Faszination. Denn es ist fraglich geworden, ob die Universalisierung einer auf Fortschritt ausgerichteten Erfahrungsselektion für alle Menschen den Weg in eine positive Zukunft weisen kann. Viele Menschen bevorzugen die initiative Option und deren Umsetzung durch die Strategie der Diversifizierung und die emanzipative Perspektivität von Design. Auch im Bereich der Wissenschaft weicht die Vorstellung eines Erkenntnisprozesses, der einem optimalen Stand zustrebt, zunehmend dem Bild eines vieldimensionalen Raumes, in dem mehrere Entwicklungsrichtungen für Erkenntnisprozesse möglich sind. Ebenso wird die an einem tradierten Selektionsprozess orientierte Fortführung von Erkenntnissen nicht mehr ausnahmslos positiv beurteilt, sondern in Bezug auf den Anwendungskontext bewertet. Der Aufwand zu Forschungen für die Nutzung von Atomenergie, die in der Tradition der modernen Wissenschaft steht, lähmte die Hinwendung zu alternativen initiativen Optionen wie der Solarenergie, der Windkraft oder der Erdwärme. Die letzten Optimierungen in der Schreibmaschinenindustrie sind rückblickend als Fehlentwicklungen zu werten. Es wurde nicht rechtzeitig erkannt, dass der Computer die Funktion der Schreibmaschine viel besser als diese erfüllen kann.

Im Hinblick auf die Erfahrungsselektion einer von der hierarchischen Struktur bestimmten Gesellschaft kann die Strategie der Diversifizierung zur Verhärtung der Hierarchien eingesetzt werden, wenn die emanzipative Perspektivität von Design nur Menschen auf höheren Ebenen der sozialen Hierarchie erreicht. So wird ein Großteil anspruchsvoller Zeitschriften oder kultureller Angebote wie Theater, Museen, Kleinkunst von Menschen mit höherer Schulbildung genutzt. Es bildet sich ein Insiderkreis, der durch Diskussionen, künstlerische und wissenschaftliche Produktion zur Diversifizierung der Erfahrungsselektion beiträgt. Dadurch vergrößert sich der intellektuelle Abstand zu Außenstehenden. Diese haben, selbst wenn Angebote im Sinne der emanzipativen Perspektivität von Design zur Verfügung stehen, selten genügend Freizeit, um sich in einen Themenbereich einzuarbeiten. Daher können sie an gesellschaftlich relevanten Entscheidungsprozessen, die von dem Insiderkreis initiiert werden, kaum kompetent mitwirken.

Wird die soziale Erfahrungsselektion schwerpunktmäßig von der polyvalenten Struktur und dem partizipativen Potential von Design bestimmt, so kann die emanzipative Perspektivität zu deren Diversifizierung beitragen. Mit der Entscheidung für die Gestaltung der Zukunft im Sinne der initiative Option ist der Abschied von der Annahme fundamentaler Wahrheiten verbunden. Denn zu einer prinzipiell demokratischen Grundeinstellung gehört das Bewusstsein um die schwierige Bestimmbarkeit fundamentaler Wahrheiten, die zudem davon abhängt, wer sie als solche definiert. Das Bemühen, allgemein verbindliche Wahrheiten zu finden, bildet traditionell einen Schwerpunkt der Philosophie. In der sozialen Lebenspraxis entscheidet jedoch selten die philosophische Argumentation darüber, was als Wahrheit gelten soll, sondern die Mächtigeren. In Umkehrung des Bacon’schen Diktums »Wissen ist Macht«, geben diejenigen, welche die Macht haben vor, was Wissen ist. Dies zu verhindern ist ein Anliegen der initiativen Option, welches in die emanzipative Perspektivität von Design einfließt. Daher wird die soziokulturelle Erfahrungsselektion als wandelbarer, vieldimensionaler, konstruktiver Prozess konzipiert. In diesem Sinne hat die »scientific community« die Aufgabe, einzelne Verzweigungen der Selektionsprozesse transparent darzulegen und vielen Menschen den Zugang zu ermöglichen, damit sie selber aktiv daran teilnehmen können und nicht zu Spielbällen von Machtinteressen werden.

Ein Weg, dem der poyvalenten Struktur entsprechenden partizipativen Potential von Design durch die emanzipative Perspektivität von Design eine langfristige Ausrichtung zu geben, besteht darin, ästhetische Elemente aus ihrem traditionellen Bedeutungszusammenhang der Vergangenheit zu lösen und in aktuelle Kontexte zu stellen. Dadurch werden die Nutzer dazu angeregt, neue Bedeutungen zu entwickeln oder etwas über die traditionelle Bedeutung zu erfahren, für die sie sich andernfalls nie interessiert hätten. Der Filmregisseur Peter Greenaway fügt in seinen Filmen, ästhetische Elemente aus dem persönlichen und dem kulturellen Gedächtnis zu einer neuen Komposition zusammen. Der Kommunikationsdesigner Neville Brody bezieht Elemente der Bauhaustypografie in seine Konzeptionen ein. Im Industriedesign entwarf Alessandro Mendini eine Türklinke, indem er den älteren Entwurf von Gropius mit einem neuen Material verband. Er nannte diesen Entwurf »Hommage an Gropius« und brachte Gropius dadurch wieder ins Bewusstsein. DJs verbinden Evergreens mit aktuellsten Rhythmen.

Akkumulation > Zur Strategie der »Erweiterung« bezüglich der initiativen Option

Design gemäß der Strategie der Erweiterung in Korrespondenz zur initiativen Option stellt zunächst ein Anschluss zur momentanen Tendenz sowie zum Erfahrungshintergrund her und bietet dann weiterführende Perspektiven an. Vorsicht ist dahingehend geboten, als dieses Vorgehen auch als Verlockungstaktik eingesetzt wird, um einen potentiellen Kunden von seinen eigenen Zielen abzubringen und in ihm neue Wünsche zu wecken. Wem ist es nicht schon passiert, dass er sich von einem grafisch anziehenden Buchcover und einem vielsagenden Titel angesprochen fühlte, das Buch kaufte und daheim enttäuscht die Banalität des Inhalts zur Kenntnis nehmen musste oder beim Einkaufen auffallende, interessant oder informativ präsentierte Produkte erstand, die er im Grunde nicht benötigt? Im Prinzip funktioniert aber das Lernen als Erweiterung des bisher Gewussten nach diesem Muster. Doch dann folgt anstelle der Enttäuschung ein inneres Aufwachen auf der Ebene des Erfahrungshintergrunds, das die Bereiche Motivation, Kognition und Emotion gleichermaßen befruchten kann.

Die emanzipative Perspektivität von Design kann der initiativen Option dadurch entsprechen, dass in unmerklicher, fast spielerischer Weise dem Nutzer immer größere Entscheidungsräume geöffnet werden. Vorbedingung jeder weiteren Öffnung ist dabei die Steigerung der Entscheidungskompetenz des Nutzers. Dieser wird weder überlistet noch in das kalte Wasser des Entscheidungszwanges geworfen. Vielmehr geht es darum, ihn bei ständiger Abstimmung zur erfolgten Weiterentwicklung seines Erfahrungshindergrundes zu dessen Erweiterung anzuregen.

Beispiel für die emanzipative Perspektivität von Design

Die Erweiterung der persönlichen Erfahrungsakkulumation anregende ästhetische Elemente, können im Interface-Design dadurch entstehen, dass zum Einstieg bekannte Darstellungsformen wie statische Bilder, lineare Erzählungen oder Filmsequenzen eingesetzt werden. Im Laufe der Interaktion sind diese konventionellen Formen zunehmend durch mediengerechte Darstellungen wie der Kombination von Ton, Musik, Text und Bild zu ersetzen. Digitale Medien beinhalten die Möglichkeit, beispielsweise durch Anklicken oder Berühren eines Touchscreens dessen Informationsoberfläche partiell zu verändern. Wichtige Informationen können länger oder dauerhaft sichtbar bleiben, andere wechseln. Der lernende Nutzer muss keinem linearen Aufbau folgen, er kann je nach momentaner Aktivitätstendenz verschiedene Wege ausprobieren und findet immer wieder zur Ausgangsposition zurück. Trotz spielerischer Freiheit sind die möglichen Wege vorab genau zu planen, zu programmieren und zu gestalten.

Jugendliche, die primär unter dem Einfluss der somatischen Tendenz stehen und sich von dem sensitiven Potential von Design angezogen fühlen, begeistern sich für Computerspiele, in denen es auf schnelle Reaktion ankommt. Im Zentrum dieser Spiele stehen meist gewalttätige Aktionen. Ein unter den Aspekten der emanzipativen Perspektivität von Design gestaltetes Spiel könnte eine Anfangsszene nach dem bekannten Muster anbieten und die Protagonisten der Spielhandlung mit jedem weiteren erreichten Schwierigkeitsgrad des Spiels in Analogie zu chemischen Elementen bringen und die Handlung mit chemischen Reaktionen vergleichen. Bei der Konzeption eines solchen Spiels ist darauf zu achten, dass die Jugendlichen die Strategie der Erweiterung des Erfahrungshintergrunds nicht frühzeitig durchschauen, damit das Spiel bis zum Ende Spaß macht und gleichzeitig zu einem besseren Verständnis von Chemie führt.

Menschen, die von der introvertierten Tendenz beeinflusst sind, fühlen sich von vielen Ereignissen innerlich berührt und verhalten sich in einer Art intuitivem Schutzmechanismus schüchtern und zurückhaltend. Im Sinne der initiativen Option der antizipativen Komponente ästhetischer Erfahrung muss diese die persönliche Weiterentwicklung lähmende Zurückhaltung mittels der emanzipativen Perspektivität von Design aufgebrochen werden. In Amerika gibt es speziell für Mädchen entwickelte Computerspiele, die es ermöglichen, verschiedene Rollen anzunehmen und beispielsweise zu testen, wie sich der Einstieg in eine neue Schulklasse nach einem Umzug gestaltet, je nachdem, wie sich die Spielfigur, mit der sich die Spielerin identifizieren kann, verhält. Solche Spiele unterstützen schüchterne Mädchen dabei, andere Menschen besser zu verstehen, sich zu öffnen, aktiver zu werden und somit den Erfahrungshintergrund zu erweitern.

Personen, welche von der explorativen Tendenz bewegt sind, springen schnell auf jedes neue Angebot, dass sie entdecken an. Sie sind aber selten in der Lage, vor der Annahme eines Angebots zu prüfen, ob es in eine positive Richtung weiterführen wird noch den Erfolg nachher zu beurteilen. Diesen Personen muss das impulsive Potential von Design mit Ausrichtung auf die emanzipative Perspektivität den Zugang zu für sie sinnvollen, ihren Erfahrungshintergrund erweiternden Angeboten öffnen. Eine Möglichkeit dazu bietet das Infotainment. Es ist als Versuch beschreibbar, durch Unterhaltung als Köder Information zu vermitteln. Ein positives Beispiel hierfür ist die Fernsehproduktion Quarks & Co des Westdeutschen Rundfunks. Ein weiteres Beispiel sind Suchmaschinen im Internet, die den von der eplorativen Tendenz Getriebenen durch vorausgewählte Links zur Entdeckung interessanter Websites verhelfen. In Zukunft wird das Surfen im Netz durch proaktive Agenten unterstützt, die das Internet nach Kriterien durchsuchen, welche der Nutzer zuvor je nach eigenen Interessen bestimmen kann. Die Schaltung von animierten, Aufmerksamkeit weckenden Werbebannern ist dagegen mit Vorsicht zu bewerten. Sie locken Nutzer, die sich von der explorativen Tendenz treiben lassen so tief in das Netz, dass diese sich leicht darin verlieren und am Ende nichts zur Erweiterung ihres Erfahrungshintergrunds verwertbares mitnehmen.

Evaluation > Zur Strategie der »Aufklärung« bezüglich der initiativen Option

Während die Strategie der Profilierung das Bestehende ausbaut und die gewohnte ästhetische Erfahrung durch die Schaffung resonanter Optionen bestärkt, öffnet die Strategie der Aufklärung ungewohnte Erfahrungsweisen und fordert die Entscheidungskompetenz der Rezipienten. Diese lernen dadurch, sich nicht von ästhetischen Angeboten überlisten zu lassen, sondern sie bewusst auszuwählen. Aufklärung meint in diesem Zusammenhang die Unterstützung zur selbständigen Urteilsfähigkeit, die nicht allein auf Rationalität beruht, sondern ebenso stark auf Kenntnis von Gefühlen.

Allein aus rationaler Sicht ist meist ein genügend hoher und abstrakten Beobachterstandpunkt einzunehmen, von dem aus das subjektive Gefühl, der freien Erfahrungsevaluation als Täuschung entlarvt werden kann. Ob die Wahl der Wohnungseinrichtung, des Urlaubsorts, der Kleidung, der Nahrungsmittel, der Fernsehsendungen, Kulturangebote, Bücher usw. betreffend, viele Entscheidungen sind entgegen dem subjektiven Bewusstsein, unbeeinflusst, individuell gewählt zu haben, zumindest in der Tendenz vorhersagbar. Doch gerade diese kleinen Entscheidungen sind für die Lebensqualität im Alltag und die ästhetische Erfahrung wesentlich und es stehen immer mehrere Alternativen zur Wahl. Die Fähigkeit, diese zu erkennen und nicht zeitlebens zwangsläufig in dem Wirklichkeitskonstrukt gefangen zu bleiben, in das ein Mensch zufällig hineingeboren wurde, sollte durch die Strategie der Aufklärung gefördert werden. Als eine der Entscheidungsalternativen ist ebenso das Verweilen in dem bisherigen Wirklichkeitskonstrukt abzuwägen.

Die emanzipative Perspektivität von Design kann der Strategie der Aufklärung dadurch entsprechen, dass es im Prinzip eine frei wählbare Zuwendung ermöglicht, also trotz gezielt geplanter ästhetischer Wirkungen den Rezipienten weder überrumpeln noch überlisten will. Designer sollten sich den Respekt vor der Wahlfreiheit und der bewussten, gefühlsbezogenen Erfahrungsevaluation des einzelnen bewahren, auch wenn es um vermeintlich kleine Entscheidungen geht. Denn diese können im subjektiven Empfinden große Bedeutung erlangen. Hier muss sich das verantwortliche Eintreten der Designer für ihr Tun bewähren, denn in diesem Punkt treffen sich ästhetische und ethische Argumente am engsten. Für jeden Menschen, ob in der Rolle des Designers oder des Nutzers, gilt es, zu erkennen, dass Entscheidungsfreiheit mit Verantwortungsbewusstsein verbunden ist.

Beispiele für die emanzipative Perspektivität von Design

Ähnlich einem Medikament das heute nur selten ohne Aufklärung über die Wirkung und ohne Zustimmung des Patienten verabreicht wird, müsste auch ein Rezipient vor der Präsentation eines ästhetischen Angebots über die mögliche Wirkung innerhalb der ästhetischen Erfahrung aufgeklärt werden, um freiwillig und verantwortlich mitentscheiden zu können.

Die perzeptive Qualität förderndes, auf die formative Aktualität ausgerichtetes Design sollte das Entstehen von reflektiver Sinnlichkeit, geschmacklicher Gemeinsamkeit und konkreter Dinglichkeit innerhalb der ästhetischen Erfahrung anregen, sie aber nicht ohne Vorwarnung überwältigen und somit jede bewusste Reflexion und Entscheidungsmöglichkeit, zur Annäherung oder zur Abwehr, ausschalten. Eine ästhetisch opulente Architektur und Ausstattung, die beispielsweise bei Schlössern oder auch Bankgebäuden zum Einsatz kommt, kann den unbedarften Besucher in Bann schlagen. Diese ganzheitliche Vereinnahmung der perzeptiven Qualität durch ästhetische Reize, demonstrativ betonte Gemeinsamkeit und zur unverrückbaren Macht aufgebauten Dinglichkeit, unterdrückt für den Besucher selbst unmerklich zunehmend jede eigenständige Aktivität.

Ebenso wäre beim Einsatz der evokativen Aktualität von Design zur Anregung der empathiven Qualität zu beachten, dass Gelegenheiten zur kurzen Distanznahme und innerlichem Rückzug bestehen. Insbesondere Filme können den Zuschauer zur Anteilnahme durch Lachen oder Weinen evozieren. Wenn die Dramaturgie den Zuschauer aber unentwegt durch ein Gefühlsbad treibt, ohne ruhige Phasen zur Besinnung auf das Selbstgefühl, die gegenwärtige Verbundenheit mit den anderen Kinobesuchern und dem eigenen Imaginieren von durch den Film inspirierten virtuellen Inszenierungen einzubauen, wird der Zuschauer völlig vereinnahmt und fühlt sich am Ende ausgebrannt.

Auch hinsichtlich der prospektiven Aktualität zur Unterstützung der imaginativen Qualität ist es wichtig, Entscheidungsmöglichkeiten in Sinne der Strategie der Aufklärung offen zu halten. Daher ist die prospektive Aktualität von Design nicht mit dem linear ausgerichteten, avantgardistischen Anspruch, der beispielsweise die Designer der Moderne erfüllte, gleichzusetzen. Dieser würde die Richtung für den fiktiven Selbstentwurf, die projektive Einigkeit und die virtuelle Inszenierung zu stark vorgeben und anstatt zur selbstbestimmten Entfaltung imaginativer Qualität zu verhelfen, jedermann zum Nachläufer degradieren.