Antizipierende Überlegungen dahingehend wie ästhetische Erfahrung und Lebensqualität zu verbessern wären stehen traditionellerweise auch im Zentrum von Theorien zur Gestaltung. Als eine der ältesten dieser Theorien, welche darauf angelegt waren, allgemeingültige gestalterische Prinzipien hervorzubringen, kann die von Vitruv um die Zeitwende in Rom formulierte Architekturlehre gelten. Gute Architektur sollte den drei von ihm hervorgehobenen Kriterien Festigkeit, Brauchbarkeit und Schönheit unter Einhaltung der richtigen Proportionen, und Berücksichtigung von Schicklichkeit und Ökonomie genügen. Später entwickelten sich daraus die von Leon Battista Alberti (1404-1474) betonten Kriterien Konstruktion, Verteilung und Dekoration über die allgemeinen, klassischen Kriterien wahr, brauchbar, schön zu den Kriterien der Moderne Struktur, Funktion und Form. Aber diese Kriterien antizipieren eher eine einseitig optimierte Zielvorgabe, den Sollzustand einer idealen Architektur, als dass sie die konkret gebaute Architektur analytisch fassen könnten. Dies gilt analog für die Übertragung objektiver ästhetischer Prinzipien auf andere Designdisziplinen. Design wurde an der HfG Ulm im Unterschied zum Bauhaus erstmals wissenschaftlich thematisiert. Um sich von dem laienhaften Designverständnis, das Design mit dekorativer Behübschung gleichsetzt abzugrenzen, sollte die Anerkennung der jungen Disziplin mit einem möglichst den harten Kriterien von Wissenschaft genügenden Wissensfundament gestärkt werden. Von dieser am klassischen Wissenschaftsverständnis orientierten Verwissenschaftlichung war auch die Ästhetik betroffen. An Forschungen von Max Bense anknüpfend entstanden viele Arbeiten zur Ästhetik, die bemüht waren, nach wissenschaftlichen Kriterien objektive, messbare Qualitäten systematisch herauszufiltern und den Bereich subjektiver Interpretationen auszuschließen. Dadurch wurden jedoch gerade diejenigen ästhetischen Aspekte aus der disziplinären Forschung zur Ästhetik eliminiert, welche für das subjektive Empfinden der Qualität des Wirklichkeitserlebens und der Lebenspraxis wesentlich sind. So fragte Siegfried Maser, der viel zur Theoriebildung einer designorientierten Ästhetik in Benses Arbeitsgruppe beitrug und sich für die Überwindung des klassischen Wissenschaftsverständnisses einsetzte, anlässlich der Rezension des Buches »Ästhetik, Konstruktion und Design eine strukturale Ästhetik« von Rolf Garnich:
»Welchen Stellenwert haben formal-ästhetische Programme im gesamten Zielprogramm eines Produkts? Wo finden Präzisierung und Mathematisierung ihre praktischen (oder auch pragmatischen) Grenzen? Worin besteht ihr praktischer Sinn? Inwieweit kann eine solche Theorie nicht nur einfach beschreibbare Strukturen, sondern bessere Produkte hervorbringen?« (Maser, aus: form, Heft 74, 1976, in: form spezial 1, 1997, S. 136)
Die Konzentration auf objektive und die Geringschätzung subjektiver ästhetischer Aspekte innerhalb dem nach dem Zweiten Weltkrieg aufkommenden disziplinären Designverständnis ist auch durch das politischen Bewusstsein vieler Designer zu begründen. Sie wollten ihre Aktivitäten nicht länger darauf richten, die offen gelassenen emotionalen Löcher in den Rahmenbedingungen für die Lebensgestaltung, welche von anderen Wissensbereichen wie Wirtschaft, Technik und Politik festgelegt werden, zu stopfen, sondern selbst stärker an positiven gesellschaftlichen Veränderungsprozessen mitwirken. Hierdurch geriet der Respekt vor dem banal scheinenden Besonderen, wie der spezifischen Lebensführung des einzelnen, zugunsten der Faszination am strategisch machtvoll einsetzbaren Allgemeinen wie städteplanerischen Großprojekten, aus dem Blick. Welche der antizipierten Veränderungen forciert werden sollten und welche gestalterischen Mittel zu deren Förderung einzusetzen wären, ergab sich aus intellektuellen Diskursen, nicht aus konkreten Erfahrungen. Insbesondere der rational geprägte Diskurs der Moderne wie auch dessen Kritik durch Vertreter der Frankfurter Schule schied gefühlsbezogenes Design, das mit der subjektiven ästhetischen Erfahrung korrespondiert, als adäquates Mittel für positive Veränderungen aus. Wolfgang Fritz Haug legte in seinem 1971 erschienen Werk »Kritik der Warenästhetik« dar, dass Design, welches die subjektive ästhetische Erfahrung in Form von Werbung oder käuflicher Warenästhetik anspricht, allzu willensschwache Konsumenten zum Kauf verführt und diese in die Zwangslage bringt, immer mehr Arbeitszeit aufwenden zu müssen, um immer schönere und angenehmere Dinge kaufen zu können, für deren Genuss letztlich keine Zeit übrig bleibt. Design fördert nach dieser Auffassung mit der Ästhetisierung von Produkten in erster Linie nicht die Lebensqualität der Endnutzer, sondern die Unternehmensgewinne. Viele Designer vermeiden es daher, am Empfinden der Nutzer orientierte, gefühlsbezogene ästhetische Mittel einzusetzen und bevorzugen funktionale, objektive ästhetische Kriterien. Inzwischen sprechen jedoch viele Anzeichen dafür, dass sich das Konsumentenverhalten mit der Gewöhnung an das verfügbare Produktangebot gewandelt hat. Konsumenten wählen gezielter nach Bedarf und Kaufkraft aus, wobei das Praktische und das jeweils als schön Erachtete keine Gegensätze sind. Funktionale Produkte, die zudem einen subjektiven, gefühlvollen Zugang erlauben oder fördern, werden nachgefragt.
Kritik an der Konsumgesellschaft bleibt aber weiterhin angebracht. Zu beachten ist, dass die aktuelle Tendenz zur Individualisierung neben dem Konsum von Produkten, welche legitimerweise zur Inszenierung der individuell, nach persönlichen Lebensumständen ausgerichteten Lebensqualität genutzt werden, auch die demonstrative zur Schau Stellung von Produkten als in verschiedensten Formen überdimensionierten Statussymbolen befördert. Solche Statusprodukte beschneiden häufig den Lebensraum anderer Menschen und begünstigen die Verfestigung von etablierten, wirtschaftlichen Machtstrukturen. Zudem degradieren sie unkritische, sich von den Statussymbolen blenden lassende Konsumenten weiterhin zu »Konsumäffchen« (vgl. H. H. Karmasin, 1993, 1993), die bereits das Konsumieren an sich mit Lebensqualität verwechseln.
Es wäre falsch, aus dieser Problemlage die weitgehende Ablehnung von Gefühle animierendem oder in anderer Weise subjektiven ästhetischen Kriterien folgendem Design abzuleiten. Die Entwicklungen der 80er Jahre haben dazu beigetragen, das an konsumkritischen Argumenten fixierte Problembewusstsein der Designer aufzulockern und die Wichtigkeit von alle Sinne ansprechenden, gefühlvollen Gestaltungsaspekten anzuerkennen. Das ist bedeutsam, weil die Problematisierung und versuchsweise Bewertung und Umsetzung von Ästhetischem nicht denjenigen überlassen werden sollte, die im Gegensatz zu den beschriebenen kritisch engagierten Auffassungen Design schlicht als wirtschaftlichen Faktor sehen. Diese Sichtweise birgt die Gefahr, dass das Verständnis von Ästhetischem ohne die notwendige kritische Reflexion und Erneuerung des bewährten Wissens allein in Hinsicht auf kalkulierbare, wirtschaftliche Verwertbarkeit reduziert würde. Das Engagement für ästhetisch differenzierte Entwürfe von möglichen und sinnvollen Perspektiven für verbesserte oder zukünftige Lebensweisen und Lebensverhältnisse hätte dann seine zentrale Stellung im disziplinären Selbstverständnis endgültig verloren. Dies wäre umso bedauerlicher, als derzeit die Möglichkeiten durch Computertechnologie solche Entwürfe erlebbar und erprobbar zu präsentieren immer leistungsfähiger werden und die Disziplin gerade jetzt die Chance hätte, mit visionären Projekten ein größeres Publikum als den jeweiligen Auftraggeber zu erreichen.
Deshalb ist es notwendig, die nach wie vor häufig mit der Bewältigung von schwerpunktmäßig emotional oder ästhetisch definierten Designaufgaben verbundene Unsicherheit, Ungeübtheit und Skepsis zu überwinden. Designer, welche in diesen Bereichen, zum Beispiel der Wohnmöbelbranche, arbeiten, werden häufig innerhalb der Profession nicht ernsthaft anerkannt. Wichtiger als die innerdisziplinäre Anerkennung kann jedoch die Akzeptanz der fachspezifischen Kompetenz in einem interdisziplinären Team sein. Hierzu können Designer verschiedene, sich gegenseitig ergänzende Ausdrucksformen wie verbale Argumentation, erklärende Skizzen, Entwurfsreihen, Modelle, Vergleichsbeispiele usw. nutzen und auf diese Weise ihre theoretische und praktische ästhetische Kompetenz einbringen. Die folgenden Analysen zu einer designspezifische Theorie von Ästhetik können insbesondere für die verbale Argumentation Hilfen anbieten. Darüber hinaus regen sie zur Reflexion des disziplinären Selbstverständnisses an und wirken dadurch auf die praktische Designtätigkeit zurück. Die entscheidende Reflexionsebene im Designprozess bildet der Mensch mit seinen Anforderungen an Design. Dieser Mensch ist auch in seiner Rolle als Konsument oder Nutzer längst nicht mehr der orientierungslose Irrläufer dem durch Design der rechte Weg gezeigt werden muss, sondern ein bewusster Akteur. Er erwartet von Design anstelle von Bevormundung die zur Verfügungstellung verlässlicher Bezugspunkte oder erweiterbarer Bezugssysteme für seine selbstgesteuerten Aktionen. Diese Bezüge sollten sich nicht aufdrängen, sondern als wählbare Angebote präsent sein. Das disziplinäre Selbstverständnis und die Kernkompetenz von Design sollte daher auf die Analyse von differenzierten Erfahrungen, Wirklichkeiten und Lebenswegen von Menschen ausgerichtet sein sowie auf deren qualitative, praktische Umsetzung und nicht in der Anhäufung von disziplinintern kanonisiertem Wissen stecken bleiben. Es geht für Designer darum zu lernen, Gefühle und Intellekt nicht gegeneinander auszuspielen, sondern in ihrer Bezogenheit zu verstehen und ihren Beitrag zur Gestaltung einer Kultur zu leisten, in der die vielfältigen Facetten des Menschseins nebeneinander bestehen und sich gegenseitig befruchten können. Dementsprechend ist die ästhetische Kompetenz der Designer aus der formalästhetischen Verengung zu befreien und hinsichtlich der Unterschiedlichkeit qualitativer ästhetischer Erfahrung weiterzuentwickeln. Dafür bieten sich zwei Perspektiven an, die in Korrespondenz zu den hervorgehobenen antizipierenden Organisationsoptionen zu entwickeln sind.