Selbstreflexion > Zum Hauptkriterium des »fiktiven Selbstentwurfs« bezüglich der imaginativen Qualität

Erfolgt die Selbstreflexion in Hinsicht auf die imaginative Qualität, so sind die momentane sinnliche Gegebenheit und die gefühlte Zuständlichkeit des Selbst weniger wichtig. Vielmehr ist nun das Hauptkriterium des fiktiven Selbstentwurfs ausschlaggebend für die Bewertung der ästhetischen Erfahrung. Der fiktive Selbstentwurf kann über einen faktisch bestehenden negativen Zustand hinwegtäuschen, indem versäumt wird, an den derzeitigen Lebensumständen etwas zu ändern, er kann aber auch als motivierender Antrieb wirken.

Je nach Ausrichtung des Selbstkonzepts kann der fiktive Entwurf des inneren Selbst für die persönliche Entwicklung einer Lebensperspektive und die Beurteilung von Lebensqualität entscheidend sein. Vielfach wird heute die Meinung vertreten, dass allein durch die Möglichkeit des fiktiven Selbstentwurfs und dessen schrittweiser Konkretisierung oder Modifizierung, Selbstverwirklichung möglich sei. Daraus folgt dann, dass die Erwartung einer ästhetischen Erfahrung, die nach einer erbrachten Leistung eintreten soll, allein am inneren Zustand konzentriert vorgestellt wird. Viele Sportler trainieren nicht für den Moment der sozialen Anerkennung auf dem Siegerpodest, sondern wollen sich selbst beweisen, dass sie ihrem Selbstentwurf näher kommen. Angestellte machen unbenötigte Überstunden und stellen sich vor, eine Karriereleiter zu erklimmen, ungeachtet, ob diese sozial anerkannt wird oder nicht. Manche Menschen sammeln tragische Erfahrungen, um ihr Selbst nach der Vorstellung, die sie von einem Künstler haben, zu formen und Inhalte für ihre Werke zu finden.

Das innere Selbst, das stark auf subliminaler Ebene vorstrukturiert wird, ist durch bewusste Reflexion nicht beliebig auf einen fiktiven Selbstentwurf hin umzuformen. Dieser sollte nicht als an gerade aktuellen Vorbildern angelehntes Idealbild, sondern vielmehr in Verbindung mit dem inneren Selbst als dessen positive Entwicklungsperspektive modelliert werden. Deshalb könnte die prospektive Aktualität zunächst viele Alternativen zur Entdeckung wesentlicher Eigenheiten des inneren Selbst anbieten, um dann die Orientierung am davon abgeleiteten Selbstentwurf zu erleichtern. Insbesondere Kinder sollten die Möglichkeit haben, viele Tätigkeiten kurz auszuprobieren, um herauszufinden, was ihnen Spaß macht und worin sie gut sind und sie entsprechend den gefundenen Neigungen und Fähigkeiten fördern zu können.

Beispiel für die prospektive Aktualität von Design

Eher einem kurzsichtigen, denn einem vorausschauenden Design entsprechen Wohnsiedlungen für Einfamilienhäuser mit sehr knappen Grundstücken und schmalen, gepflasterten, Spielstraßen. Solange die dort aufwachsenden Kinder klein sind, können sie relativ ungefährdet im Freien spielen, denn die Idylle scheint wie für sie gemacht zu sein. Wenn sie aber in das Jugendalter kommen, stört in dieser Enge zwangsläufig das Mofa, der Hund, das Ballspiel mit anderen, laute Musik oder jeder Ölfleck, der bei Reparaturversuchen daneben geht. Die Jugendlichen haben dort genaugenommen ebenso wenig Entfaltungsmöglichkeiten wie in großen Hochhaussiedlungen. Hier wurde nur kurzfristig den Wunschträumen der jungen Eltern, Hausherren zu sein, entsprochen ohne die zu erwartenden Bedürfnisse der Kinder nach persönlicher Entfaltung mit einzuplanen. Andererseits haben es die Hausbesitzer ebenso versäumt, für sich selbst voraus zu denken, denn auch für rüstige, alte Menschen fallen Garten, Bastelwerkstatt, Kaninchen- oder Taubenzucht usw. als mögliche Bestandteile des fiktiven Selbstentwurfs aus, weil der Freiraum um die Häuser einfach zu klein ist.