Interaktion > Zum Hauptkriterium der »virtuellen Inszenierung« bezüglich der imaginativen Qualität

Der Bezug zur Welt unter der imaginativen Qualität der ästhetischen Erfahrung ist durch das Hauptkriterium der virtuellen Inszenierung zu kennzeichnen. Die ästhetische Qualität der Interaktionen mit der Welt wird nicht am konkreten Sosein der Dinge festgemacht und auch nicht am Zustandekommen einer lebendig scheinenden Nähe; vielmehr werden neue Möglichkeiten der Interaktion ausprobiert und alternative Dinge und Welten kreiert. Die Welt wird als virtuelle Inszenierung aufgefasst, die dem Erfahrungsprozess entsprechend zu verändern, neu zu arrangieren, in unterschiedlichster Weise zu entfalten ist und nicht als feste Größe akzeptiert. Das Potential für Interaktionen erscheint dann beinahe unendlich, obwohl die eigentliche Bedeutung der Dinge genauso bewusst bleibt. Jedoch liegt der Reiz der ästhetischen Erfahrung gerade darin, die Dinge und die Welt ungeachtet ihrer zweckvollen Ordnung immer wieder neu zu inszenieren und zu ordnen.

Menschen mit einem Selbstkonzept innerhalb dem der Weltbezug und die imaginative Qualität dominiert, räumen beispielsweise ihre Wohnung öfters um, verändern sonstwie ihr Umfeld oder ihre gedanklichen Fixierungen und sind erfinderisch. Nicht alle Personen mit dieser Neigung können Künstler oder Designer werden. Zudem entwerfen diese Berufsgruppen die Welt nicht aus beliebiger Lust und Laune heraus ständig neu. Ihre Professionalität erfordert in hohem Maße Ernsthaftigkeit und Verantwortung, so dass für bewusstes ästhetisches Vergnügen beim Tun wenig Raum bleibt. Ihre Aufgabe ist es, für anderen Menschen, die sich selbst durch Interaktivität in der Welt definieren und diese Erfahrung zur Entfaltung von Lebensqualität benötigen, Angebote für die Gestaltung ihres Lebenskontextes zu entwerfen, die das flexible Interagieren erleichtern und zu virtuellen Inszenierungen anregen. Die prospektive Aktualität sollte daraufhin konzipiert sein, Veränderungen zuzulassen und zu erleichtern.

Beispiel für die prospektive Aktualität von Design

Ein Mal- und Tagebuch für Kinder von Keith Haring enthält einige Bilder und Erzählelemente sowie Anhaltspunkte, Anregungen und viel freien Raum zum Ausgestalten. Dadurch wird eine Möglichkeit der Inszenierung gezeigt, die Angst vor dem großen, weißen Blatt genommen und gleichzeitig die interaktive Entwicklung eigener Szenarien erleichtert. Vielleicht entwickeln einige Kinder daraufhin eigenständig weitere Bücher.

Während viele Möbelhersteller Kinderzimmer für Kleinkinder mit reichlich Spielmöglichkeiten anbieten, gibt es für Jugendliche in dieser wichtigen Entwicklungs- und Veränderungsphase kaum Möbel, die dem Hauptkriterium der virtuellen Inszenierung entsprechend für alternative Interaktionen geeignet sind.

Von dem Wunsch, sich selbst durch die Interaktion mit der Welt immer wieder anders zu erleben, profitiert die Mode. Einkaufszentren oder Kaufhäuser arrangieren ihre Ware immer wieder anders, dekorieren die Schaufenster um, bieten besonderer Ereignisse an, damit sich der Kunden bei jedem Besuch als Akteur in einer neuen virtuellen Inszenierung fühlt.

Die prospektive Aktualität kommt nur zur Geltung, wenn Nutzer oder Rezipienten aktiv die vorausschauend auf die Zukunft gerichteten, gezielt angelegten Möglichkeiten entfalten. Vielfach wünschen sich die Nutzer zwar eine virtuelle Inszenierbarkeit, aber sie sind später nicht entsprechend aktiv. Viele Produkte wie Kameras, Computer oder HiFi-Anlagen sind technisch überfrachtet, weil sie auf alle Eventualitäten hin angelegt sind und werden nie über die normale Beanspruchung hinaus eingesetzt.

In Städten werden Bewohnern und Gästen phasenweise durch künstlerische Themenschwerpunkte oder Park- und Gartengestaltung, Straßenfeste usw. Inszenierungen geboten, die den Bewohnern ihre städtische Umgebung auf neue Weise erfahrbar machten. Die Bewohner erhalten dadurch die Anregung, sich über die normalerweise im Alltäglichen verborgenen Möglichkeiten des städtischen Lebens bewusst zu bleiben.

Kommunikation > Zum Hauptkriterium der »projektiven Einigkeit« bezüglich der imaginativen Qualität

Während das gegenwärtige Gefühl der Verbundenheit flüchtig ist und an momentanes Erleben gekoppelt bleibt, ergibt sich aus der Gedächtnisfunktion von Gefühlen als allgemeinen Erfahrungsqualitäten die Grundlage zur langfristigen Erhaltung von gemeinsamen Erlebnissen, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder aktiviert und weiterentwickelt werden können. Eine kommerzielle Umsetzung findet das Wissen um die Wichtigkeit dieses Wir-Gefühls für das Selbstkonzept und die Wertung von Erfahrung anhand der Hauptkriterien der gegenwärtigen Verbundenheit und der projektiven Einigkeit durch Incentives-Agenturen. Diese organisieren besondere Reisen als Belohnung und Ansporn für erfolgreiche Mitarbeiter eines Unternehmens. Mit diesen Reisen wird für die zur Teilnahme ausgewählten Firmenmitglieder zunächst ein verbindendes Erlebnis erzeugt. Darüber hinaus wird aber auch die Projektion von Einigkeit in Form einer unvergesslichen gemeinsamen Erinnerung oder der Aussicht auf ein noch schöneres Zusammensein im nächsten Jahr geschaffen.

Die Erinnerung oder die Vorstellung in Zukunft etwas ähnlich Schönes zu erleben ist der imaginativen Qualität zuzuordnen. Hinsichtlich der Beziehung von imaginativer Qualität und Kommunikation, wird die projektive Einigkeit zwischen den Menschen zum wichtigsten Hauptkriterium zur bewussten ästhetischen Erfahrungsbeurteilung. Die Projektion dieser Einigkeit kann sowohl in die Zukunft, als auch in die Vergangenheit gerichtet sein und ist unabhängig von einer gegenwärtigen Zusammenkunft, obgleich diese bestärkend wirken kann.

So bilden Menschen, die ansonsten völlig unterschiedlich leben, Gruppierungen aufgrund des gemeinsamen Bezugs auf die projektive Einigkeit, die wesentlich zu ihrem Selbstkonzept gehört. Menschen die ihre Heimat verlassen mussten und sich entwurzelt fühlen, treffen sich mit Schicksalsgefährten, mit denen sie daheim womöglich niemals zu tun gehabt hätten, und stellen eine projektive Einigkeit durch den gemeinsamen Bezug auf das Heimatland her. Wissenschaftler, die in ihre einsame Forschung vertieft sind, werten ihre damit verbundenen ästhetischen Erfahrungen trotz gegenwärtiger Misserfolge an der imaginativen Qualität und fühlen sich durch eine projektive Einigkeit mit Kollegen verbunden. Die gemeinsame Hoffnung auf das Erreichen eines wissenschaftlichen Durchbruchs in der Zukunft, kann sogar Konkurrenten vereinen. Ebenso stellen beispielsweise Politiker die Reflexion ihrer auf das innere Selbst bezogenen ästhetischen Erfahrung zurück und bewerten diese vorwiegend im Hinblick auf die projektive Einigkeit, das gemeinsame Ziel der Partei.

Durch das Hauptkriterium der projektiven Einigkeit entsteht einerseits ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und andererseits ein markanter Orientierungswert als Bezug für die individuelle ästhetische Erfahrung. Dies gilt ungeachtet der inhaltlichen Bedeutung oder ethischen Bewertung gleichermaßen für kommunikatives Engagement innerhalb auf breiter Basis sozial legitimierter Gruppen, wie auch innerhalb problematischer Randgruppen. Eine Lebensgestaltung die großteils aus der kommunikativen, auf die Mitmenschen bezogenen Dimension des Selbstkonzepts erwächst und sich die perzeptive und die empathive Qualität vernachlässigend an der imaginativen Qualität und dem Hauptkriterium der projektiven Einigkeit orientiert, ist immer wieder kritisch zu prüfen. Die Ausrichtung der ästhetischen Erfahrung auf eine Projektion und die Gewöhnung an diese kann leicht dazu führen, dass sie zum lebensfremden und gefährlichen Dogma mutiert. An diesem kann zwar die eigene Lebensqualität verankert bleiben, aber durch die Bindung des Selbstverständnisses an Mitmenschen und Kommunikation wird mit der persönlichen Orientierung an der projektiven Einigkeit ungeprüft die Überzeugung verbunden, dass diese Projektion auch für andere Menschen gut sein muss. Darin liegt die Gefahr einer gewaltsamen Realisation der projektiven Einigkeit. Dies gilt für rückwärtsgewandte Projektionen von Fundamentalisten ebenso, wie für zukunftsweisende Projektion von Utopisten.

Der Gefahr einer Verabsolutierung der projektiven Einigkeit ist dadurch zu begegnen, dass die Projektionen nicht in weite Ferne gerückt werden oder zu große Mächtigkeit erhalten wie dies bei religiösen Projektionen oft der Fall ist. Ihre Einlösungsmöglichkeit muss erreichbar erscheinen und nach einer eventuellen Konkretisierung der projektiven Einigkeit als gegenwärtige Verbundenheit, sollten neue Projektionen entwickelbar bleiben. Mit diesem Verständnis kann die projektive Einigkeit als Hauptkriterium der imaginativen Qualität innerhalb der ästhetischen Erfahrung viel zur Kommunikationsbereitschaft und zum friedlichen Zusammenleben beitragen und ist deshalb durch die Ausrichtung von Design auf die prospektive Aktualität zu fördern.

Beispiel für die prospektive Aktualität von Design

Erfolgreiche Projekte mit als schwierig geltenden Jugendlichen zeigen, wie wichtig es für die Überwindung deren negativer Situation ist, eine Perspektive von zukünftiger Einigkeit zu entwickeln, auf die schon jetzt gemeinsam hingearbeitet werden kann. Anstelle ein perfektes Jugendzentrum errichten zu lassen, ist es besser, die Betroffenen in die Planung und den Bau des Zentrums aktiv miteinzubeziehen und die entwickelten Ideen nicht alle sofort, sondern Schritt für Schritt umzusetzen. Das gemeinsame Ziel überbrückt gegenwärtige Differenzen und verhilft zu einem langfristigen Verständnis der Jugendlichen füreinander.

Die von Gene Roddenberry begründete Science Fiction Serie Star Trek entwirft eine Zukunft, in der Lösungswege für moralische und technische Probleme entwickelt werden und friedliches Koexistenz von Menschen mit Außerirdischen möglich ist. Einzelne Episoden thematisieren Fragestellungen, die im heutigen Alltagsleben aktuell werden könnten und bieten Lösungen im Sinne der projizierten Lebensweise an. Weil diese Projektion von Einigkeit nicht zu phantastisch, sondern konkretisierbar erscheint, vermittelt sie den Zuschauern die ästhetische Erfahrung der auf Kommunikation und Mitmenschen bezogenen imaginativen Qualität. Im Rahmen der Conventions ist zu beobachten, welch unterschiedliche Menschen sich aufgrund dieser Perspektive begegnen und miteinander kommunizieren.

Selbstreflexion > Zum Hauptkriterium des »fiktiven Selbstentwurfs« bezüglich der imaginativen Qualität

Erfolgt die Selbstreflexion in Hinsicht auf die imaginative Qualität, so sind die momentane sinnliche Gegebenheit und die gefühlte Zuständlichkeit des Selbst weniger wichtig. Vielmehr ist nun das Hauptkriterium des fiktiven Selbstentwurfs ausschlaggebend für die Bewertung der ästhetischen Erfahrung. Der fiktive Selbstentwurf kann über einen faktisch bestehenden negativen Zustand hinwegtäuschen, indem versäumt wird, an den derzeitigen Lebensumständen etwas zu ändern, er kann aber auch als motivierender Antrieb wirken.

Je nach Ausrichtung des Selbstkonzepts kann der fiktive Entwurf des inneren Selbst für die persönliche Entwicklung einer Lebensperspektive und die Beurteilung von Lebensqualität entscheidend sein. Vielfach wird heute die Meinung vertreten, dass allein durch die Möglichkeit des fiktiven Selbstentwurfs und dessen schrittweiser Konkretisierung oder Modifizierung, Selbstverwirklichung möglich sei. Daraus folgt dann, dass die Erwartung einer ästhetischen Erfahrung, die nach einer erbrachten Leistung eintreten soll, allein am inneren Zustand konzentriert vorgestellt wird. Viele Sportler trainieren nicht für den Moment der sozialen Anerkennung auf dem Siegerpodest, sondern wollen sich selbst beweisen, dass sie ihrem Selbstentwurf näher kommen. Angestellte machen unbenötigte Überstunden und stellen sich vor, eine Karriereleiter zu erklimmen, ungeachtet, ob diese sozial anerkannt wird oder nicht. Manche Menschen sammeln tragische Erfahrungen, um ihr Selbst nach der Vorstellung, die sie von einem Künstler haben, zu formen und Inhalte für ihre Werke zu finden.

Das innere Selbst, das stark auf subliminaler Ebene vorstrukturiert wird, ist durch bewusste Reflexion nicht beliebig auf einen fiktiven Selbstentwurf hin umzuformen. Dieser sollte nicht als an gerade aktuellen Vorbildern angelehntes Idealbild, sondern vielmehr in Verbindung mit dem inneren Selbst als dessen positive Entwicklungsperspektive modelliert werden. Deshalb könnte die prospektive Aktualität zunächst viele Alternativen zur Entdeckung wesentlicher Eigenheiten des inneren Selbst anbieten, um dann die Orientierung am davon abgeleiteten Selbstentwurf zu erleichtern. Insbesondere Kinder sollten die Möglichkeit haben, viele Tätigkeiten kurz auszuprobieren, um herauszufinden, was ihnen Spaß macht und worin sie gut sind und sie entsprechend den gefundenen Neigungen und Fähigkeiten fördern zu können.

Beispiel für die prospektive Aktualität von Design

Eher einem kurzsichtigen, denn einem vorausschauenden Design entsprechen Wohnsiedlungen für Einfamilienhäuser mit sehr knappen Grundstücken und schmalen, gepflasterten, Spielstraßen. Solange die dort aufwachsenden Kinder klein sind, können sie relativ ungefährdet im Freien spielen, denn die Idylle scheint wie für sie gemacht zu sein. Wenn sie aber in das Jugendalter kommen, stört in dieser Enge zwangsläufig das Mofa, der Hund, das Ballspiel mit anderen, laute Musik oder jeder Ölfleck, der bei Reparaturversuchen daneben geht. Die Jugendlichen haben dort genaugenommen ebenso wenig Entfaltungsmöglichkeiten wie in großen Hochhaussiedlungen. Hier wurde nur kurzfristig den Wunschträumen der jungen Eltern, Hausherren zu sein, entsprochen ohne die zu erwartenden Bedürfnisse der Kinder nach persönlicher Entfaltung mit einzuplanen. Andererseits haben es die Hausbesitzer ebenso versäumt, für sich selbst voraus zu denken, denn auch für rüstige, alte Menschen fallen Garten, Bastelwerkstatt, Kaninchen- oder Taubenzucht usw. als mögliche Bestandteile des fiktiven Selbstentwurfs aus, weil der Freiraum um die Häuser einfach zu klein ist.