Interaktion > Zum Hauptkriterium der »konkreten Dinglichkeit« bezüglich der perzeptiven Qualität

Die perzeptiven Qualifizierung erfolgt unter völliger Absehung von subjektiven Interessen. Deshalb wird sowohl im eher rezeptiven, als auch eher produktiven Interagieren der Anlass der Reize, beispielsweise die Gegenstände des Lebenskontextes, in ihrer konkreten Dinglichkeit angenommen. Jedes Ding ist demnach in der bewussten ästhetischen Anschauung thematisierbar, ohne gleichzeitig psychologische Interpretationen ausdrücken oder anregen zu müssen. Dadurch wird es möglich nach Kriterien und Gesetzmäßigkeiten der Anschauung zu forschen, die sich nur auf die Organisation der Gestaltungsmittel, die für die das Zustandekommen und die perzeptive Qualität von konkreter Dinglichkeit nötig sind, konzentrieren (vgl. Kapitel 3.1.2). Diese Überlegungen prägten zu Beginn dieses Jahrhunderts das künstlerische Denken, flossen in die Lehre des Bauhauses ein und trugen zu einem an der formalen Ästhetik ausgerichteten ästhetischen Grundverständnis bereits in der Entstehungsphase von Design als eigener Disziplin bei.

»Kandinsky attestiert dem zweidimensionalen Formelement die Qualität eines Dinges, um es von jeder Nachahmungsfunktion zu entbinden und seine Eigenständigkeit zu betonen ­ denn ein Ding ahmt ja nichts nach, sondern stellt sich selbst dar.« (Hofmann, 1987, S. 55)

Eine Linie soll nicht als Abbild, Ornament, Symbol oder sonstiges Zeichen, sondern einzig in ihrer Selbstbezüglichkeit als geformtes Ding gesehen werden. Hier ist nochmals daran zu erinnern, dass die konkrete Dinglichkeit nur in der sinnlichen Anschauung durch Interaktion entfaltet wird, also nicht in gleicher Form unabhängig vom Instrumentarium des menschlichen Körpers und der gehirninternen Verarbeitung real existiert. Design mit dem Schwerpunkt der formativen Aktualität wird im Hinblick auf die Förderung der perzeptiven Erfahrungsqualität entworfen. Dies heißt bezüglich dem Hauptkriterium der konkreten Dinglichkeit, dass es eine bestimmte Art und Weise der Interaktion mit der Welt kennzeichnet und diese fördert.

Die Besonderheit dieser Interaktion liegt bei der Rezeption oder Nutzung in der Akzeptanz und bei der gestalterischen Produktion in der Konzeption der Eigenaktivität der Dinge. Entsprechend dem ästhetischen Eigenwert oder Selbstzweck liegt der Zweck der solchermaßen gestalteten Dinge primär in ihrem Gebrauch, das heißt, der auf sie gerichteten Interaktion selbst, nicht in ihrem instrumentellen Potential. Inwieweit die rezeptive Interaktion festgelegt ist, ob ein großer Spielraum bleibt oder strikte Grenzen gesetzt sind, ist graduell variierbar. Nicht jeder ist gewillt oder fähig, sich auf die allzu einengende formative Aktualität von Design einzulassen. Die Einschätzung der formativen Aktualität als reizvolle oder zwanghafte konkrete Dinglichkeit hängt von der qualitativen Ausrichtung der ästhetischen Erfahrung und der Kennerschaft ab.

Designer erliegen während dem Designprozess, der sich im Wechsel von produktiver und rezeptiver Interaktion entwickelt, oft selbst dem Reiz der konkreten Dinglichkeit, indem sie letztlich zu viele Details bezüglich der perzeptiven Qualität festlegen. So lassen sich manche Entwürfe für das heimische Badezimmer zwar schön fotografieren, sind aber für die interaktive Erschließung der konkreten Dinglichkeit als Hauptkriterium der Erfahrungsqualität nicht mehr geeignet, weil ihre Perfektion durch jede Interaktion sofort zerstört wird.

Beispiel für die formative Aktualität von Design

Viktor Vasarely (1908-­1996) entwickelte eine Methode, um wissenschaftliche Vorstellungen von Raum und Zeit in Sinnesempfindungen zu übertragen. Er konzipierte beispielsweise eine Art abstraktes Puzzle, das auch ohne künstlerische Vorbildung zu verschiedenen sinnlich reizvollen Form- und Farb-Kompositionen arrangiert werden kann. Es entstehen also keine beliebigen Arrangements, weil bestimmte Vorgaben eingebaut sind, die der spielerisch Interagierende beachten muss.

Einige Computerspiele sind dann der formativen Aktualität von Design zuzuordnen, wenn der Spieler zwar Entscheidungsfreiheiten hat, aber der Spielverlauf relativ festgelegt und mit der Absicht geplant ist, dem den Regeln folgenden Spieler ein gewisses Maß an ästhetischem Vergnügen zu garantieren.

Ebenso gibt die barocke Gartengestaltung bestimmte Wegeführungen vor, die nicht in erster Linie dazu dienen, den Garten schnell zu durchqueren. Vielmehr geht es darum während der Interaktion mit der Gartenanlage eine perzeptive Qualität entfalten zu können. Ähnliches erlebt man beim stressfreien Schlendern durch eine unbekannte Altstadt. Auch einige neuere Wohnsiedlungen bieten regelmäßige und doch variierende Strukturen an, deren Erschließung durch einen Spaziergang sinnlich perzeptives Vergnügen macht.