Design oder visuelle Kommunikation haben in vielen Bereichen die Aufgabe, Orientierung für praktisches Handeln anzubieten. Zum Beispiel machen medizinische Illustrationen dem Laien verständlich, wie die Immunabwehr funktioniert. Schemata und Diagramme zeigen ökonomische oder ökologische Zusammenhänge auf, das Design einer Fernbedienung erleichtert dem Benutzer die Bedienung durch logische, leicht erlernbare Tastenanordnungen und -bezeichnungen, oder handliche, kombinierte Stadt- und Fahrpläne verschaffen auf einen Blick eine erste, zuverlässige Orientierung. Deshalb liegt nach Martin Krampen das Spezifikum der visuellen Kommunikation in der Möglichkeit, Erkenntnisse zu komplexen Sachverhalten, die in einer verbal linearen Folge praktisch unbeschreibbar sind, fehlerfrei zu verbreiten (vgl. Krampen in: EPWT, Art. Kommunikation, visuelle). Krampens Definition von visueller Kommunikation betont deren nützliche Vermittlungsfunktion. Diese zu gestalten ist ein unbestritten wichtiger Aufgabenbereich für Designer. Doch dieser muss auch die Frage nach der Bedeutung oder Wirkung einer dem Rezipienten vermittelten Erkenntnis in dessen Erfahrungsfluss einschließen. Das heißt, bezüglich der imaginativen, am Orientierungswert ausgerichteten ästhetischen Erfahrungsqualität von Design oder visueller Kommunikation geht es um die Einbindung von Erkenntnis unter Berücksichtigung der inneren Orientierung der Rezipienten. Die visuelle oder, für Design im allgemeinen, die sinnlich erfahrbare Präsentation von Vorstellungen, Ideen oder Phantasien befriedigt nicht nur eine der momentanen Orientierungssuche entsprechende Informationsfunktion, sondern kann auch eine imaginative Qualität innerhalb der Erfahrungsdynamik annehmen. Deshalb ist das Angebot von unterschiedlich gestalteten und verschiedene Schwerpunkte betonenden Stadtplänen sinnvoll. Das gestalterische Ziel, den Menschen durch Design die Orientierung zu erleichtern, wird oft durch einseitig ausgerichtete Komplexitätsminderung und Ordnungssteigerung konkretisiert. Zu bestimmten Orientierungsproblemen gibt es aber nicht nur jeweils eine beste Erkenntnis und deren Umsetzung durch ein optimales Design. So möchte ein Urlauber selten auf dem schnellsten Weg sein ausgewähltes Ziel in einer Stadt erreichen. Er benötigt einen Stadtplan, der, weniger den weltbezogenen Orientierungsnutzen, als vielmehr den inneren, erfahrungsbezogenen Orientierungswert, die imaginative Qualität, fördert, indem nicht die kürzeste, sondern eine auf das Ziel einstimmende Wegeführung hervorgehoben ist oder entsprechende Vorschläge für eigene Zusammenstellungen angedeutet werden.
Inzwischen hat sich mit der veränderten Vorstellung zur vieldimensionalen Dynamik von Erkenntnis auch die Einstellung zur Definition von Design gewandelt. Genauso, wie es verschiedene mögliche Erkenntnisrichtungen gibt, die von dem gleichen Problem ausgehend zu mehreren richtigen Lösungen führen, können verschiedene, jeweils für sich gute Designlösungen entwickelt werden. Die Entscheidung für eine Lösung muss kontextbezogen erfolgen. Eine beste Lösung für alle denkbaren Sonderfälle kann sich nur auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners bewegen. Dieses reicht zwar in Notsituationen aus, stellt jedoch im Einzelfall eine dogmatische Beschneidung menschlicher Lebensqualität dar. Insbesondere die imaginative Qualität der bewussten ästhetischen Erfahrung erhält zu wenig Impulse. Sie entsteht innerhalb der Erfahrungsdynamik immer wieder neu und ist an die Kraft der Kreativität gekoppelt. Zur imaginativen Qualität gehört die Vorstellung von ständigen Veränderungen und Zukunftsoffenheit im positiven Sinne. Sie wird als Faszination an Möglichkeiten erlebt, deren Konkretisierung nicht zwangsläufig erfolgen muss. Bewusste Erfahrungskomponenten wie das eigene Selbst, die Mitmenschen und die Welt sind nicht statisch definiert, sondern werden innerhalb der bewussten Erfahrung immer wieder anders entworfen und erhalten veränderte Bedeutungen.
Sobald Menschen mehr Freiraum haben, selber zu denken, zu gestalten und ihre imaginative Erfahrungsqualität auszuleben, benötigen sie die Unterstützung durch Designprofis weniger in Form von formalisierten ästhetischen Lösungsstandards als vielmehr durch vielfältige, die Verschiedenheit der inneren Erfahrungsdynamik berücksichtigende und ihren Verlauf vorausschauend einbeziehende ästhetische Orientierungsangebote. Wie dieses individuelle, prospektive Design produktionstechnisch ohne Verteuerung oder Qualitätsminderung der Produkte und ohne zusätzliche Umweltbelastung umgesetzt werden kann ist ein gesellschaftlich zu lösendes Problem, das nicht ausschließlich und in erster Linie die Berufsgruppe der Designer betrifft. Obwohl alle diese Produktionsprobleme für die Entwicklung eines Designkonzepts wichtig sind, bleibt doch die Beachtung und Ausrichtung von Design an der bevorzugten ästhetischen Erfahrungsqualität für die Interaktion oder Kommunikation zwischen Nutzern und Lebenskontext die fachspezifische Aufgabe von Design. Hier kann der Designer seine ästhetische Kompetenz einbringen, um für den Nutzer passende Lösungen anzubieten, ohne ihm ein ästhetisches Glaubensbekenntnis aufdrängen zu wollen. Selbst wenn Design primär durch Erkenntnisvermittlung und Orientierungshilfe definiert wird, ist es im Hinblick auf die Dynamik und Vielfalt menschlichen Lebens und der damit verbundenen Erkenntnisdynamik und Orientierungsvielfalt anzustreben, differenzierte Designlösungen zu einem Problemfeld zu entwickeln.
Für die disziplinäre Entwicklung müsste aus diesen Überlegungen der Schluss gezogen werden, dass es besser ist, die Kompetenz der Designer darauf zu trainieren, mehrere gute Lösungen zu einer Problemdefinition zu finden und ein waches Bewusstsein für qualitative Lebensvielfalt zu entwickeln als sich auf die Idee einer Optimallösung zu fixieren. Durch die Zurücknahme des ästhetischen Wahrheitsanspruchs seitens des Designs steigen jedoch auch die Anforderungen an den Nutzer hinsichtlich der Bewusstwerdung seiner Prioritäten bezüglich der ästhetischen Erfahrung sowie der Bildung seines persönlichen ästhetischen Urteilsvermögens. Wie die Ausrichtung von Design auf die prospektive Aktualität förderlich für die Priorität der imaginativen Qualität der ästhetischen Erfahrung wirken kann, wird in der anschließenden Analyse (vgl. Punkt 2.3) untersucht.