2.2.2 Empathive Qualität als bewusst gefühlte Akzentuierung ästhetischer Erfahrung und evokative Aktualität von Design

Im bewussten Erleben kann das Gefühl mitschwingen, dass hier und jetzt etwas passiert, dass es spannend ist, dabei zu sein, dass die Gegenwart das einzig wichtige ist. In der erfülltesten Form wird diese Gefühlsqualität der Authentizität als wahrhaftes Geschehen mit großer Intensität erlebt und deshalb oft mit dem Glauben an eine größere, außerhalb der menschlichen Erfahrungswirklichkeit liegenden Wahrhaftigkeit verbunden. Es entsteht ein euphorisches Gefühl, das der Körper nicht lange aufrecht halten kann und deshalb im Alltag nur dosiert erlebt wird. In einem ganz auf das Selbst bezogenen Glücksgefühl scheint der innere Erlebnisraum überzulaufen und von etwas Größerem aufgefangen zu werden. In dem starken Gefühl der gegenwärtigen Verbundenheit, das unter den Besuchern einer Sportveranstaltung ebenso aufkommen kann wie unter den Beteiligten eines Gottesdienstes, entsteht der Eindruck, dass sich die Verbundenheit von den beteiligten Akteuren ablöst und verselbständigt. Die lebendige Anmutung, welche Innenräume von barocken Gebäuden oder opulent gestaltete Hotels, die u. a. in Las Vegas vorkommen, vermitteln, ist ein Genuss für alle Sinne. Darüber hinaus entsteht das überschwängliche, Gefühl in diesem Moment die ganze Welt an Ort und Stelle konzentriert zu erleben.

Das Authentische als ästhetische Erfahrungsqualität ist nicht ausschließlich an das außergewöhnliche Erlebnis gebunden. Es ist in weniger intensiver Form vielmehr fast ständig im alltäglichen Tun präsent und fungiert als eine Art Realitätssinn. Die Authentizität eines Geschehens ist am überzeugendsten sichergestellt, wenn eine Person selbst dabei war, es hautnah erlebte, es mit eigenen Augen sah, die Erfahrung selbst gemacht hat oder aus authentischer Quelle von dem wahren Ablauf eines Geschehens informiert wurde. Obwohl Zeugenaussagen zu einem Ereignis häufig von völlig abweichenden Beobachtungen berichten, ist doch jeder Zeuge unter Hinweis auf die Authentizität seines Berichts von dessen Wahrheit überzeugt. Für die selbstbestimmte Lebensfähigkeit ist die Erfahrungsqualität der Authentizität essentiell wichtig, denn mit ihrem Verlust schwindet die innere Lebensorientierung in Zeit und Raum, der Innen- oder Außenwelt, Phantasie und Realität.

Wie durch die angeführten Beispiele deutlich wird, gibt das Erleben von Authentizität eine subjektive Gewissheit zur Wahrhaftigkeit des Erlebten, aus der jedoch nicht dessen objektive Richtigkeit abzuleiten ist. Dies ist beispielsweise beim Vergleich von Urlaubserlebnissen, dem echten Kennenlernen von Land und Leuten oder dem häufig kritisierten Urlaubsvergnügen in künstlich angelegten Themenparks festzustellen. Das sogenannte »echte Erlebnis« kann durch vorher gelesene Reiseliteratur und klischeehafte Vorstellungen oder das an den Wünschen der Touristen orientierte Verhalten der Einheimischen ebenso beeinflusst sein wie andererseits das Erleben von tropischer Pflanzenwelt und die Kommunikation mit anderen Urlaubern in einem Themenpark authentisch empfunden werden kann. Authentizität ist keine absolute, sondern eine standpunktbezogene, perspektivische Qualität, die für eine selbstbestimmte Lebensorientierung in einem soziokulturellen Rahmen unverzichtbar ist. Ein objektiv nachprüfbares Ereignis kann zwar Kommunikationsthema sein, es wird aber erst dann in die subjektive Wirklichkeit eingebunden, wenn es in irgendeiner Form gelingt, ihm gegenüber die subjektive Gefühlsqualität der Authentizität zu aktivieren.

Subjektive Erfahrungswirklichkeit ist immer durch Bedingungen, die nicht umfassend freigelegt werden können, vermittelt. Die Bedingtheit der Erfahrung durch Medien im weitesten Sinne (vgl. Kapitel 5) ist schwer durchschaubar, weil sie durch die Verkettung und Verknüpfung verschiedenster Medien mehrfach vorselektiert wird und zeichenhaft vermittelt entsteht, obwohl das Gefühl des Authentischen und mit ihm die Vermutung oder Überzeugung bezüglich des objektiven Wahrheitsgrads mit dem jeweils letzten Medium in der Reihe, beispielsweise der Präsentation einer Nachrichtensendung, eines Boulevardmagazins, einer Werbesendung, einem Krimi oder XY-ungelöst verknüpft wird. Dem Designer kommt die Verantwortung zu, diese Mediengattungen deutlich unterscheidbar und wiedererkennbar zu gestalten, um eine möglichst zuverlässige Zuordnung des objektiven Wahrheitsanspruchs oder der Glaubwürdigkeit zum subjektiven Authentizitätsgefühl zu erleichtern (vgl. Kapitel 5.3).

Essentiell für die empathive Qualität ästhetischer Erfahrung ist die Fähigkeit zur bewussten Einfühlung sowohl in das eigene Selbst als auch in die Erfahrungswelt der Mitmenschen. Aufgrund dieser Qualität des Mit- und Nachfühlens, wird es erstens möglich voneinander zu lernen, Erlebnisse durch Kommunikation zu vergegenwärtigen, ohne sie unbedingt selbst erleben zu müssen. Zweitens gelingt es, auch die nicht explizit artikulierten Gefühle von anderen zu erspüren und sie nach deren Interesse zu transformieren. Ohne empathives Verständnis in die ästhetischen Wirklichkeitskonstruktionen und Motivationen von den Menschen, an die sich Designentwürfe richten sollen, können keine glaubhaften Angebote zur Erhaltung oder Verbesserung von Lebensqualität entstehen. Demnach bildet nicht das Selbstgefühl des Designers, als vielmehr das mit Empathie antizipierte Gefühl des Rezipienten die Leitgröße während dem Designprozess Fälschlicherweise hält sich immer noch die Meinung, Designer würden sich in erster Linie im Spaß an der Arbeit verwirklichen. Dieser Aspekt gehört zu jeder kreativen Arbeit, doch letztlich geht es in der professionellen gestalterischen Arbeit nicht um den Ausdruck eigener Gefühle, sondern um die Gestaltung von nutzer- oder zielgruppenspezifischen Anknüpfungsmöglichkeiten, die der Emotionsvielfalt der unterschiedlichen Menschen entgegenkommen sollten. Die nachfolgende Analyse (vgl. Punkt 2.3) stellt heraus, wie die evokative Aktualität von Design förderlich auf das Entfalten der empathiven Qualität eingehen könnte.