1.3.2 Ursachenbezogene Orientierung und die Kategorie der Potentialität von Design in Korrespondenz zu bedingenden Komponenten ästhetischer Erfahrung

Dominiert eine ursachenbezogene Organisationsorientierung die Kreation von Erfahrung, so wird dadurch die Entfaltung der Teilprozesse beeinflusst. Wichtiger als die Gegenwartserfahrung von Gefühlsbewegungen wie in Relation zur wirkungsbezogenen Orientierung wird das Aufspüren von Gründen, die zu einer Erfahrung oder ästhetischen Erfahrung führten. Eine solchermaßen ausgerichtete ästhetische Erfahrung wird als von Bedingungen eingegrenzt erlebt, wogegen zu einer primär durch die gefühlsbezogene Komponente beeinflussten ästhetischen Erfahrung das Erleben von unbefangener Offenheit gegenüber gegenwärtigen Wirkungen gehört. Das Erleben ist nicht mit momentanen Geschehnissen oder Wirkungen sondern mit oft diffusen Fragen nach Ursachen erfüllt. Diese können die eigene Person wie die Suche nach dem Zusammenhang des gerade Erlebten mit der persönlichen Identität betreffen oder auch die Wahrnehmung anderer Menschen wie die Frage nach deren bevorzugter Reaktion auf diesen oder einen ähnlichen Moment sowie die Erforschung technischer Mittel wie das größere Interesse an den Bauteilen einer Kamera, als den Fotos, die mit ihr entstanden.

Obwohl vielen Menschen heute ein verhältnismäßig großer Spielraum zur individuellen Lebensentfaltung bereit steht, gelingt es nur wenigen, öfters eine ungebundene oder originelle Sehweise einzunehmen und den Einfluss der gefühlsbezogenen Komponente ästhetischer Erfahrung bewusst zu entfalten. Dies lässt vermuten, dass bedingende Komponenten in den Teilprozess der ästhetischen Erfahrung einfließen und ihn in bestimmte Bahnen leiten. Der Einfluss der bedingenden Komponenten erhält aufgrund der Verstärkung durch die Rückkoppelung aller Prozesse umso mehr Gewicht, je deutlicher sich die Erfahrungskreation in Richtung der ursachenbezogenen Orientierung stabilisiert. Im Unterschied zu der gefühlsbezogenen Komponente ästhetischer Erfahrung, die zum bewussten Erleben beiträgt, bleibt der Einfluss der bedingenden Komponenten oft unbemerkt oder wird nur als diffuse Kraft erfahren. Gerade diejenigen Verhaltensweisen, die am vertrautesten und selbst verständlichsten scheinen, setzen unsichtbare Grenzen, welche gar nicht registriert und deshalb auch nicht durch bewusste Anstrengung zu erkennen und zu überwinden sind.

Jeder Mensch ist in beschränkende Bedingungen eingebunden, die durch seine genetische und allgemein stammesgeschichtliche Herkunft, die individuelle körperliche Konstitution sowie die soziale Zugehörigkeit und die natürlichen und kulturellen Gegebenheiten seiner Lebensumwelt vorgegeben sind. Diesen Bedingungen, von denen einige individuell unterschiedlich, andere ähnlich ausgeprägt sind, bilden das moderne Apriori. Sie stellen Begrenzungen und auch Voraussetzungen für Erfahrungen im Sinne Kants dar, können aber im Unterschied zu dessen Konzeption nicht mehr als allgemeingültig und unveränderlich betrachtet werden. Sie unterliegen vielmehr einer wechselwirkenden Dynamik von individuellen Lebensgeschichten, der historischen Entwicklung von Gesellschaften, dem Wandel von Kommunikationsformen wie Sprachen oder Ritualen und umweltbezogenen Interaktionsformen wie Technologien.

Die ästhetische Erfahrung wird im wesentlichen durch die gefühlsbezogene Komponente bewusst erlebt. Richtunggebende Weichenstellungen erfährt sie jedoch unabhängig von der Bewusstwerdung durch die bedingenden Komponenten. Drei bedingende Komponenten sind aufgrund der vorangegangenen Untersuchungen hervorzuheben, erstens die subliminale Ebene, zweitens die soziale Kommunikation und drittens die medialen Weltbezüge. Jeder der bedingenden Komponenten kann je nach philosophischem Ansatz größeres Gewicht zukommen. So ist die subliminal bedingte Komponente eher mit Kants Ansatz, die sozial bedingte Komponente mit Hegels Konzeption und die medial bedingte Komponente mit dem Ansatz von Marx zu verbinden. Diesen, hier exemplarisch angeführten, philosophischen Konzeptionen ist die Annahme eines dominanten Konstruktionsprinzips der Erfahrung gemeinsam, das auf der festen Grundlage in Form der jeweils hervorgehobenen Bedingung beruht. Diese ist als harte Realität, die der erfahrbaren Wirklichkeit vorausgeht, zu kennzeichnen.

Die Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts thematisierte diese Problematik in zweierlei Weise. Einerseits gab es weiterführende Versuche, die der Erfahrungskreation, also der bewusst erlebbaren Wirklichkeit zugrunde liegende Realität zu erkennen wie durch Husserls Phänomenologie, den französischen Strukturalismus und einige Ansätze zur Technik- und Medientheorie. Andererseits geriet zunehmend die Thematik der Veränderbarkeit dieser Realität in das Blickfeld, beziehungsweise wurde die Annahme eines festen, bedingenden Fundaments, welches zwangsläufig zu einer einzigen Prägung der Erfahrungsdynamik führt, in Frage gestellt. So lässt der Erklärungsansatz zur subliminal bedingten Komponente, die Selbstorganisation lebender Organismen, welche Maturana als universellen, deterministischen Mechanismus definiert, die verschiedenartigsten, funktions- und überlebensfähigen Ausformungen zu. Auch die sozial bedingte Komponente der Erfahrungskreation wirkt nicht nur in einer Richtung ein. Um die Pluralität der sozial bedingten, kommunikativen Einflüsse auf die Konstruktionen zu kanalisieren und weiterhin die Möglichkeit einer aufbauenden, nicht in Beliebigkeit sich auflösenden, wissenschaftlichen Forschung zu erhalten, schlug der amerikanische Philosoph Hilary Putnam in seinem 1981 (dt. 1982) erschienenen Werk »Vernunft, Wahrheit und Geschichte« die Einigung auf einen internen Realismus vor. Dieser Realismus soll sich nur auf dasjenige beziehen, was innerhalb einer Theorie vorkommt, also auf kommunikativ entwickelte, wissenschaftliche Konventionen, nicht auf eine davon unabhängige Realität. Bezüglich der Wechselwirkung der medial bedingten Komponente als eher der harten Realität zugehörig einerseits, mit der Erfahrungskreation andererseits, ist zum Beispiel eine Untersuchung von Niklas Luhmann (1927-1998) anzuführen, in der er die Konstruktion der Realität mittels der Massenmedien sowie die Realität dieser erzeugten Konstruktion thematisiert (vgl. Luhmann, 1996) und dadurch bereits die der Erfahrungswirklichkeit Bedingungen vorgebende Realität als eine konstruierte Bezugsgröße definiert. Zudem dokumentiert die Weiterentwicklung von Erkenntnissen in verschiedensten Wissensbereichen, dass zunehmend bisher als statisch angenommene Bedingungen enträtselt und zumindest teilweise für Veränderungen und verbessernde Gestaltungsversuche zugänglich gemacht werden.

Aus diesem Verständnis von Realität als einer im Prinzip veränderbaren Einflussgröße resultiert eine wesentliche Aufgabe für die spezifische Gestaltung oder das Design. Es geht darum, die bedingenden Komponenten als relativ harte Realität, welche der Erfahrungskreation vorausgeht, in ihrer Verfasstheit für die subjektive Erfahrung erschließbar machen und dazu anregen, sowohl die dadurch erkennbare Bedingtheit der persönlichen Erfahrungskreation und Lebenswirklichkeit zu verstehen, als auch deren Veränderbarkeit. Denn die Möglichkeit, durch die bewusst Einfluss nehmende Gestaltung auf die Erfahrungswirklichkeit wiederum auf die jeweils grundlegende, bedingende Realität zurückzuwirken, beinhaltet einerseits Chancen und andererseits Gefahren für die menschliche Lebensgestaltung.

Trotz negativer Nebenwirkungen, die durch unbedachte Veränderungen bereits verursacht wurden, fußt im Vertrauen auf die Lernfähigkeit der Menschen die begründete Zuversicht, dass es möglich ist, aus diesen Fehlern zu lernen und schließlich mehr Positives als Negatives mit den Verbesserungsversuchen zu bewirken. Zu respektieren bleibt, dass einige der von den bedingenden Komponenten erzeugten Grenzen noch nicht oder nur sehr schwer veränderbar sind. Zudem ist zu berücksichtigen, dass viele Menschen die ursachenbezogenen Orientierung bevorzugen und an den Bedingungen, die für ihre Erfahrungsbildung prägend sind, festhalten wollen.

Die mit den bedingenden Komponenten ästhetischer Erfahrung korrespondierende Kategorie für spezifische Gestaltung oder Design sollte daher sowohl diese Grenzen mit beachten als auch darauf hinwirken, die Erfahrungskreation weiter aus den ihr oft willkürlich oder zufällig auferlegten Bedingungen zu befreien (vgl. Kapitel 6.2). Diese Kategorie lässt sich durch die Eigenschaft der Potentialität charakterisieren. Beachtung der Grenzen heißt, dass eine spezifische Gestaltung einerseits den als gegeben angenommenen Bedingungen entspricht und die Erwartungen eines Menschen erfüllt. Die Ausweitung der Bedingungen ist zum Beispiel dadurch zu erreichen, dass ein Designprodukt in sich bereits das Potential zur Ausweitung enthält, welches ein Nutzer für sich erschließen kann, aber nicht muss.

Als wesentlich für die Relation der Teilprozesse zur ursachenbezogenen Orientierung von Erfahrung kann somit die Korrespondenz der bedingenden Komponenten ästhetischer Erfahrung zur Kategorie der Potentialität von Design hervorgehoben werden. Die Interpretation der Potentialität orientiert sich an einer später ausführlicher herauszustellenden Eigenschaft der ästhetischen Erfahrung, der Freiwilligkeit (vgl. Kapitel 2.2.3). Diesem Verständnis der ästhetischen Erfahrung entsprechend ist das Bestreben, durch Design sozusagen eine zwanghafte, von den Betroffenen nicht gewünschte Befreiung aus den Erfahrungsbedingungen vorantreiben zu wollen, unzulässig.