Interaktion > Zum Hauptkriterium der »lebendigen Anmutung« bezüglich der empathiven Qualität

Zum Gefühl, in einer Umgebung zu Hause zu sein, gehört die sinnliche Erfahrung von Anmutungsqualitäten, die eine Beziehung von Nähe und Lebendigkeit zu diesem Umfeld vermitteln. In einer völlig reizarmen Umgebung fühlen Menschen sich auf Dauer nicht wohl, da ihre sinnliche Aktivität keine Angebote findet und keine positive atmosphärische Stimmung zu der Umgebung aufbauen kann. Sogar das Rauschen einer Klimaanlage kann das Gefühl einer lebendigen Anmutung vermitteln wie sich an einem konkreten Fall zeigen lässt (vgl. Bedrohliche Stille, in: Der Spiegel, 10/97, S. 227). Eine Großbank hatte ihre Klimaanlage erneuern lassen und die Beschäftigten litten unter der ungewohnten Stille. Deshalb wurden nachträglich Lautsprecher angebracht, die mit einem speziellen Sound-Design gespeist werden, das in Form unterschiedlicher Maskierungsgeräusche einzelne Arbeitsinseln erzeugt.

Zu den Gestaltungsmitteln, durch die das Entstehen eines Gefühls von lebendiger Anmutung begünstigt werden kann, gibt es viele Untersuchungen, die sich auf die Anthropologie oder auch die Anthroposophie berufen (vgl. z. B. Schneider, 1995) und um die Aufstellung allgemeingültiger Regeln hinsichtlich dem ästhetischen Empfinden bemüht sind. Beispielsweise stehen rötliche Farbtöne eher für ein Gefühl von Wärme oder Nähe und blaue Farben eher für ein Gefühl von Kühle oder Ferne. Gerade das Farbempfinden ist aber in hohem Maße neben den gattungsspezifischen physiologischen und den psychologischen Bedingungen sehr stark von den Einflüssen des Lebenskontextes geprägt (vgl. Heller, 1989).

Aussagen zum Gefühl der lebendigen Anmutung von Gegenständen bis zur gesamten Lebensumwelt sind nicht pauschal festlegbar und wie Faktenwissen weiterzugeben oder als Vorratswissen für eine später möglicherweise eintretenden Situation zu erlernen. Vielmehr sind die hinter den Aussagen stehenden Kriterien zu erfassen und je nach der Problemstellung des Projekts neu mit Leben zu füllen. Wenn über die Umsetzung erlernten, scheinbar verlässlichen Faktenwissens, hinausgehend nicht auch auf die spezielle Situation angepasste Gefühle aus- und angesprochen werden, wirken Designentwürfe irgendwie leblos. Doch in Hinsicht auf das Verhalten in der gegenständlichen Umwelt spielt das Gefühl als Motivation für ästhetische Erfahrung eine große Rolle. Je größer der Anteil von gesichtslos und steril wirkenden Objekten, die der Suche nach Gefühlen keine Resonanz bieten, in der menschlichen Lebensumgebung wird, desto verlorener und haltloser fühlen sich viele Menschen. Besonders fatal wirkt sich hier die Ansicht vieler Planer und Gestalter aus, gefühlvolles Design sei zwar im privaten, jedoch nicht im öffentlichen Raum angebracht. Die evokative Aktualität könnte demgegenüber durch entsprechende Gestaltung das Gefühl von lebendiger Anmutung wecken und zur aktiven Mitwirkung zur Erhaltung einer lebenswerten Welt einladen.

Beispiel für die evokative Aktualität von Design

Weil viele Menschen bezüglich ihrer öffentlichen, alltäglichen Lebensumgebung nur wenige Gefühle von lebendiger Anmutung entwickeln können, verlieren sie das Interesse an dieser »kalten Welt«. Um durch die gefühlsorientierte ästhetische Erfahrung den gegenwartsbezogenen Kontakt zum Lebenskontext zu erhalten, ist es besser, zum Beispiel in sozialen Einrichtungen Zonen zu schaffen, die mangels Möglichkeit der gemeinsamen Abstimmung zunächst irgendeine Form von lebendiger Anmutung ansprechen, als dem vermuteten kleinsten gemeinsamen Nenner entsprechend ein unauffälliges Reizniveau zu erzeugen.

Menschen engagieren sich für die Pflege und Mitgestaltung der Qualität ihres Lebenskontextes, sei dieser privat oder öffentlich wie ein Park, eine Wohnstraße, ein Gruppenraum usw. sicher intensiver, wenn sie das Gefühl der lebendigen Anmutung und der innerlichen Nähe zu den Gegenständen und ihrem Lebensumfeld einmal bewusst erfahren haben. Deshalb sollten Designer besonderes Verständnis für die Vielfalt von angenehm und lebendig empfundenen Anmutungen bezüglich des Lebensumfelds und Sensibilität für deren Ausdruck durch unterschiedlichste Gestaltungsmittel entwickeln und gestalterische Freiräume für Eigeninitiativen anbieten. Wie groß das Interesse an markant gestalteten Erlebnisräumen ist, zeigt mangels vergleichbarer qualitativ besserer Angebote in der Region, der Erfolg des Einkaufszentrums Centro, der nach Auswertung erster Bilanzen weniger im guten Absatz, als vielmehr an dem Interesse der Besucher liegt, sich in einem lebendig wirkenden, freundlichen Ambiente aufzuhalten.

Kommunikation > Zum Hauptkriterium der »gegenwärtige Verbundenheit« bezüglich der empathiven Qualität

Der Glaube an das Mythische als Gefühl einer ursprünglichen Verbundenheit allen Lebens ist mit der von Max Weber diagnostizierten »Entzauberung der Welt« im Zuge der wissenschaftlichen Aufklärung des Menschen verloren gegangen. Heute ist Verbundenheit als gemeinsames Gefühl der Zusammengehörigkeit als gegebener, sicherer Halt oder als einschränkende Bremse individueller Tätigkeitsorientierung erlebbar. In einer Kultur, die das Individuelle fördert, wird das Gefühl der geteilten Verbundenheit daher meist nur phasenweise und hinsichtlich verschiedenen Anknüpfungsmöglichkeiten gesucht. Sie muss durch ständige Kommunikation immer wieder aufgebaut oder gepflegt werden. Nicht die Auflösung der je individuellen Position im gemeinsamen Konsens, sondern die respektvolle Toleranz des Andersseins und das Aufrechterhalten der Kommunikation kennzeichnen das Gefühl der Verbundenheit. Dessen Bedeutung löst sich durch dieses Verständnis von der Assoziation der unmittelbaren Gemeinsamkeit und verbindet sie mit einem Medium. Dies kann die Sprache sein oder ein Fußballspiel, ein Film, ein Autorennen, eine Oper, ein Essen usw. Das Medium beeinflusst als bedingende Voraussetzung die Art und Weise der möglichen Kommunikation und damit auch die Qualität des Gefühls der Verbundenheit (vgl. Kapitel 5). Beispielsweise konkretisiert sich dieses Gefühl durch die Kommunikation mittels Internet in einer neuen Form, indem Menschen die Möglichkeit des Mediums nutzen, verschiedene Identitäten anzunehmen und dadurch Kontakte herstellen, die durch konventionelle Medien in dieser Art nicht zustande gekommen wären.

Während zum Beispiel das Medium Buch den Rezipienten auf sich selbst verweist, eignen sich die oben genannten Medien dafür, Kommunikation und Interaktion gemeinsam zu erleben und in gegenwärtiger Verbundenheit aktiv, sei es allein durch Anwesenheit, Beifallsbekundungen, persönliche Beiträge usw., mitzugestalten. Designer können das Entstehen des Gefühls der gegenwärtigen Verbundenheit fördern, dessen Verlauf strukturieren, sowie Gestaltungsmöglichkeiten für die Akteure anbieten.

Für die Konzeption solcher Erfahrungsangebote benötigen Designer neben dem fachspezifischen Wissen zu Gestaltungsmitteln, die räumliche und zeitliche Anschauungsformen, also Komposition und Dramaturgie verbinden, auch Kenntnisse in der Soziologie (vgl. Kapitel 4).

Beispiel für die evokative Aktualität von Design

Beispiele hierfür lassen sich beim Event-Design ebenso finden, wie bei der Gestaltung des alltäglichen Lebensraums. So kann das Konzept der Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky bei allen Pluspunkten dahingehend kritisiert werden, dass gemeinsames Kochen als Medium zur Pflege familiärer Verbundenheit in dem schmalen Raum fast unmöglich ist. Im Bereich der Arbeitsplatzgestaltung ist es wichtig, Zonen einzurichten, die zum kurzen Verweilen einladen, wie Stehtische für Raucher oder in Nähe eines Kaffeeautomaten, und dadurch das Zustandekommen eines Gesprächs erleichtern. Bei Messen ist es entscheidend, geschäftlich oder privat interessierte Besucher, beispielsweise durch schmale oder breite Durchgänge zu kanalisieren, damit potentielle Gesprächspartner zusammenfinden. Ein Event, wie die Präsentation eines neuen Rennwagens oder der Haute-Couture, die Eröffnungsfeier von Olympischen Spielen, die Höhepunkte eines Abenteuerurlaubs usw. muss allen Beteiligten das verbindende Gefühl vermitteln, an einem unwiederholbaren Ereignis teilzunehmen. Die Gestaltung von Events im weiteren Sinne wird voraussichtlich in Zukunft durch die Globalisierung der Wirtschaft weltweit stärker nachgefragt. Bisher sind nur vereinzelt Designer in diesem Bereich tätig. So inszenierte der Designer Hans Donner die Samba-Parade in Sao Paulo. In gesellschaftlicher Hinsicht kann das Gefühl der gegenwärtigen Verbundenheit sowohl durch Machtdemonstrationen, wie Militärparaden, als auch durch Protestmärsche zur Bekundung von Solidarität politische Brisanz gewinnen.

Selbstreflexion > Zum Hauptkriterium des »bewussten Selbstgefühls« bezüglich der empathiven Qualität

Während der empathiven Erfahrungsbewertung tritt die momentane Gegebenheitsweise der Erfahrungsinhalte zugunsten der Reflexion des inneren Zustands, der mit ihnen verbunden ist, in den Hintergrund. Das Hauptkriterium des bewussten Selbstgefühls bezieht sich auf das subjektive, innerliche Selbst. Zwei wesentliche Kriterien bestimmen das Selbstgefühl. Erstens wird mit ihm die Subjektivität, die Einmaligkeit und die Privatheit von Erfahrungen verbunden. Zweitens gehört zum Selbstgefühl immer die persönliche Perspektivität. Beide Kriterien sind durch wissenschaftliche oder philosophische Ansätze, die um die Formulierung objektiv nachprüfbarer und allgemein verwertbarer Aussagen bemüht sind, schwer zu erfassen. Die Privatheit von Gefühlen oder ästhetischen Erfahrungen wird deshalb oft abgestritten oder als unwichtig erachtet. Im Bemühen, das typisch Menschliche zu beobachten und zu beschreiben, verlieren Wissenschaft und Philosophie den konkreten Menschen aus dem Blick.

Für das Selbstgefühl jedes Menschen gibt es neben den biologisch bedingten auch auf den soziokulturellen Kontext bezogene, verallgemeinerbare Einflussgrößen. Dies sind alterstypische Entwicklungsphasen, Krankheit, Partnerwahl, soziale Anerkennung usw., die im persönlichen Erleben gefühlsmäßig verarbeitet werden müssen. Psychotherapeutische Ansätze können hierfür insbesondere in zwischenmenschlichen Problemsituationen einen unterstützenden Rahmen bieten. Die Reflexion des Selbstgefühls ist jedoch nicht nur eine Komponente der Problembewältigung, sondern gehört zu einer bewussten Lebensführung und kann auch alltägliche Situationen zum Anlass nehmen. Durch Veränderungen und Wechselwirkungen der Beziehung zum eigenen Selbstkonzept, zum Körper, zu anderen Menschen und zur Lebensumgebung wandelt sich das Selbstgefühl ständig. Die Qualität des Selbstseins begleitet mehr oder weniger intensiv jede innerliche Reflexion. Sie ist aber nur schwer für andere oder im eigenen Denken in Worte zu fassen oder durch nonverbale ästhetische Mittel auszudrücken. Wenn es nicht gelingt, sich wenigstens ab und zu bewusst dem Fühlen der Empfindungsqualität des eigenen Selbst hinzugeben, entstehen innere Leere, Selbstentfremdung und Langeweile. Das Leben scheint sinnlos dahin zu gleiten (vgl. Hülsemann, 1996).

Mit Thomas Metzinger ist bezüglich der Frage nach der Bedeutung von Selbstgefühlen, die den Zustand des inneren Selbst reflektieren, deren bestehender Gewissheitscharakter und deren fehlender Wissenscharakter festzustellen (vgl. Metzinger, 1993 u. 1996). Von Selbstgefühlen als qualitative Selbstreflexion ist kein verwertbares Wissen abzuleiten, nur das sichere Gefühl, ein handelndes, verantwortliches Selbst zu sein. Wenn diese empathive Qualität der Selbstgewissheit fehlt, wird ein Mensch unsicher in seinen Gefühlen, der Verantwortung für sein Verhalten zu anderen Menschen und zu seiner Umwelt. Deshalb ist es sinnvoll, die evokative Aktualität von Design als Anregung für das Zustandekommen von bewussten Selbstgefühlen einzusetzen.

Beispiel für die evokative Aktualität von Design

Im Strafvollzug, beim Militär, im Kloster oder in Sekten benutzen Maßnahmen zur Störung des Selbstgefühls wie strenge Vorschriften für Frisur und Kleidung, strikte Zeiteinteilung, Reduktion persönlicher Utensilien, knapper Lebensraum, Beschneidung von Kommunikations- und Aktivitätsmöglichkeiten, Überforderung des Leistungsvermögens usw., stehen Möglichkeiten zur Förderung eines positiv erlebbaren, bewussten Selbstgefühls entgegen. Körperliches und geistiges Tätigsein und Wohlbefinden, individuell angepasste Kleidung, Möbel und Wohnräume, flexible Arbeitszeiten, Achtung vor der individuellen Lebensgeschichte usw., wären dann Richtlinien für die evokative Aktualität von Design im Alltag.

In einer demokratischen Kultur, die verschiedene Lebensweisen und Selbstgefühle toleriert und in der die Menschen selbstbewusst die Freiräume zur Lebensgestaltung nutzen wollen, können sich Designer nur selten auf ein elementares, aus dem vereinheitlichenden Ansatz der Anthropologie abgeleiteten gestalterisches Repertoire beziehen, indem sie sich zum Beispiel auf die »wesenhafte« Gefühle evozierende Kraft einer Farbe, einer Form oder eines Materials berufen. Das heißt nicht, dass es unnötig oder unmöglich wäre ein Repertoire ästhetischer Mittel anzulegen, doch eine allzu schablonenhafte Anwendung von Zuordnungen zwischen Gestaltungsmitteln und Gefühlen, wie runde Formen und Erotik oder Kindchenschema, lässt die Erforschung ästhetischer Mittel im Design stagnieren.

Wenn die Erlebnisvielfalt und der das Selbstgefühl stärkende Gewissheitscharakter von Sinneswahrnehmungen akzeptiert wird, sind wissenschaftliche Forschungen zu Farben, Oberflächen, Haptik, Duft- und Geschmacksstoffen, Geräuschen usw., die meist von Herstellerfirmen oder naturwissenschaftlichen Hochschulinstituten betrieben werden, stärker in das disziplinäre Wissen einzubeziehen und durch Forschungen zur Wirkung von Formen, Materialien, Proportionen usw. zu ergänzen. Obwohl diesbezüglich häufig beispielsweise von Duft- oder Sound-Design die Rede ist, sind nur wenige Designer in solche Forschungen mit einbezogen. Hier wäre eine stärkere Kooperation bereits in der Ausbildung anzustreben, denn die Computertechnik erleichtert es, nuancenreiche Effekte bei Gestaltungsmitteln zu erzielen, die der sinnlichen Fülle und Vielfalt von Naturerscheinungen und menschlicher Erlebnisfähigkeit entsprechen und dadurch gezielter auf individuelle Wünsche einzugehen.