[3.3.2.3]
Beispiel für das animative Potential von Design
Das Kriterium der innerlichen Einbindbarkeit von wichtigen, das persönliche Leben
begleitenden ästhetischen Reizen läßt sich mit vernünftigen Argumenten schwer fassen.
Als Zeitungsleser beispielsweise zum ersten Mal mit serifenloser Schrift konfrontiert wurden,
riefen sie ablehnend, diese Schrift sei »grotesk«. Der Versuch von Adolf
Hitler, eine neue Schrift für Zeitungen einzuführen, scheiterte an dem Protest der Leser, die ihre Zeitung
unabhängig von jedem Inhalt nicht akzeptierten und die Frakturschrift zurückforderten. Von
jüngeren Menschen wird diese Schrift fälschlicherweise hauptsächlich mit der Zeit des
Nationalsozialismus verbunden und es würde trotz besserem Wissen größte Ablehnung hervorrufen,
sie beispielsweise für Werbung einzusetzen.
Der Erfolg von Ostalgie-Veranstaltungen einige Jahre nach der deutschen
Wiedervereinigung läßt sich weniger politisch, als vielmehr durch die innerliche Einbindbarkeit von
bestimmten ästhetischen Gestaltungsmitteln, von Grußformen über die Lokaleinrichtung
bis zum Geschmack der gewohnten Getränke begründen.
Firmen und Vereine versuchen davon zu profitieren, daß ihre Produkte, die im nahen
Lebenskontext stehen mit der Zeit innerlich eingebunden werden, indem sie diese durch
weitere Produkte ausbauen. Eine Adaption von Gummibärchen wird als Leuchte angeboten.
Die Milka-Kuh gibt es als Stofftier. Ob es jedoch gelingt, allein durch massive Werbepräsenz
ein Produktimage aufzubauen, das dem Kriterium der Einbindbarkeit entspricht, ist
zweifelhaft. Am ehesten gelingt diese Beeinflussung noch bei Kindern. Doch auch diese sind nicht
beliebig beeinflußbar. Wichtig für das Entstehen von Eingebundenheit ist die persönliche
Erfahrung mit dem Design eines Gegenstands. So empfinden viele Menschen aufgrund
schöner Erinnerungen und der Überzeugung von guter Qualität noch eine innere
Eingebundenheit gegenüber dem alten VW-Käfer-Modell, dessen Namensgebung zusätzlich das
animative Potential bereichert. Die Neuauflage, der Beetle, kann den alten Erfolg nur auf dem
amerikanischen Markt fortsetzen. Dort verbinden die Käufer des Beetle mit dem Design
das positive Legensgefühl der Jugend, während der Käfer für viele deutsche Autofahrer nur
ein normales, kostengünstiges Fahrzeug war. Der Verkaufserfolg von Produktserien im
Retro-Design wie Hifi-Produkte der Marke Dual oder aus den Anfangszeiten der industriellen
Produktion wie Radiogeräte aus Bakelit basiert auf der kognitiven Einbindbarkeit des
Designs dieser Produkte, die durch den Kauf eines früher vertraut gewesenen Produkts wieder
aufgefrischt wird.
|