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6.1.2 Kreiskausalität und Verbesserung durch antizipierende Organisationsoptionen

Nach dem Modellansatz ist die Zielvorstellung nur durch das rekursive Zusammenwirken aller Prozesse zu generieren. Sie ist sozusagen als von untern wachsend, nicht als von oben aufoktroyiert zu konzipieren. Daher ist davon auszugehen, daß Menschen keine allgemein verbindliche Richtlinie, sondern aufgrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungsgeschichten oder Organisationsschwerpunkten der Erfahrung vielfältige Zielvorstellungen entwickeln. Zudem können diese im Laufe der Erfahrungsgeschichte variieren, stehen gleichwertig nebeneinander oder werden manchmal nie erfüllt. Für die längerfristige Qualität der ästhetischen Erfahrung und mit ihr des Lebens, ist daher weniger die rasche Verfügbarkeit der Zielvorstellungen wesentlich, als vielmehr die Gewißheit, ihrer möglichen Einlösbarkeit bei Bedarf. Diesen Zusammenhang bringt der Begriff einer antizipierenden Organisationsoption zu Ausdruck. Mit der Ausbildung einer antizipierenden Option verbindet sich die positive Vorstellung, einer Verbesserung der ästhetischen Erfahrung durch deren Einlösung.

Exemplarisch wird im folgenden die Problematik der vielfältigen Organisationsoptionen anhand dem Schwergewicht der gefühlsbezogenen Komponente innerhalb der Kreiskausalität aller Prozesse dargelegt. Hierbei wird bereits deutlich, daß sich die Einschätzung der jeweiligen Organisationsoption einerseits auf die Erwartung von Verbesserungen der ästhetischen Erfahrung durch antizipierende Organisationsoptionen auswirkt sowie andererseits auf die Bewertung des jeweils korrespondierenden Designs.

Je nach persönlicher Definition des Selbstkonzepts erhält die Evaluation durch eine dominante Organisationsqualität eine besondere Ausrichtung, welche auch die Ausbildung von Organisationsoptionen bezüglich der antizipierenden Komponente beinflußt. Während eine Ausrichtung im Erleben Priorität hat, bleiben weitere Möglichkeiten zeitweise oder auch langfristig ausgeblendet. Oft ist das Verständnis für Menschen, die eine andere Zielvorstellung anstreben, gering. Die professionelle Behandlung ästhetischer Fragen erfordert es aber, sich von persönlichen Vorlieben distanzieren zu können und diese ebenso einer kritischen Beurteilung zu unterziehen wie fremd erscheinende Organisationsoptionen.

Die Kultivierung der perzeptiven Qualität kann elitär und überheblich wirken, das Offensein für empathive Qualität kann als aufdringliche Suche nach Nähe gewertet werden und die Orientierung an der imaginativen Qualität verleitet dazu, viel Neues zu beginnen, ohne es zu Ende zu führen. Wie können sich viele Künstler der formativen Aktualität von Design widmen, in der Hoffnung einmal in einem Museum die konkrete Dinglichkeit ihrer Objekt präsentiert zu sehen, angesichts aller Mißstände in der Welt? Weshalb sollte es gut sein, durch evokative Aktualität von Design empathive Gefühle zu wecken, welche eine oberflächliche Friedlichkeit erzeugen, die aufkeimendes aufklärerisches Denken bedeckt hält? Nützt nicht auch die prospektive Aktualität von Design nur dazu, von gegenwärtig notwendigen Aktivitäten abzulenken und das Streben nach imaginativer Qualität durch die Vermarktung von uneinlösbaren Visionen wie einem gesunden, glücklichen, finanziell gesicherten Leben für jedermann zu mißbrauchen? Andererseits findet ein Mensch vielleicht die glücklichsten Momente seines Lebens, indem ihm die formative Aktualität von Design einen Anlaß bietet, sich der perzeptiven Qualität der ästhetischen Erfahrung in besonderer Weise bewußt zu sein. Oder die evokative Aktualität von Design bietet einen Resonanzraum dar, in dem sich die empathive Qualität entfalten kann und Lebensfreude blühen läßt. Die prospektive Aktualität von Design unterstützt Menschen, für deren ästhetische Erfahrung die imaginative Qualität das schönste Erleben darstellt, dabei, sich an phantastischen Visionen begeistern zu können, selbst weitere Möglichkeiten zu schaffen und optimistisch in die Zukunft zu sehen. Der Vorrang jeder Qualität für die Ausbildung einer antizipierenden Organisationsoption ist ambivalent zu bewerten.

Auch die jeweils dominierende Dimension des Selbstkonzepts und der zugehörige Einfluß auf das Entstehen einer antizipierenden Organisationsoption läßt negative und positive Bewertungen zu. Eine Zuwendung zum inneren Selbst und der Reflexion als primäre Beschäftigung, wird häufig als weltfremde oder egoistische Spinnerei abgelehnt. Das Verständnis des eigenen Ichs anhand der kommunikativen Bezogenheit zu den Mitmenschen erscheint in westlichen, das Individuelle bevorzugenden Kulturen womöglich als naiver Altruismus oder als aufgesetzte Maske, um das Streben nach persönlichem Profit zu verstecken. Die schwerpunktmäßige Hinwendung zum Weltlichen, die Interaktion mit Medien, scheint seelische Oberflächlichkeit und Geistlosigkeit zu verraten. Aber gibt nicht die bewußte Reflexion auf das innere Selbst eine Sicherheit der Selbsteinschätzung, die erst dazu befähigt, Grenzen und Freiheiten zu unterscheiden sowie Verantwortung zu übernehmen? Ist etwa die positive Erfahrung der ästhetischen Besonderheit des Kommunikativen, des Teilens von Freude und Erlebens von doppelter Freude, des Teilens von Trauer und des Erlebens von halber Trauer, ungültig? Erhalten Menschen durch ihre bewußte Hinwendung zu Medien, sei es in Form naturwissenschaftlicher Forschung oder der Pflege kultureller Güter, verbunden mit dem Bemühen um qualitative Interaktion, nicht die für alle wichtigen Lebensressourcen?

Diese exemplarischen Erwägungen zur Dominanz von Prozessen der gefühlsbezogenen Komponente innerhalb der Kreiskausalität verdeutlichen deren vielfältigen Einfluß auf die antizipierenden Organisationsoption bezogen auf Lebensqualität oder einem langfristig gelungenen Leben. In ähnlicher Weise könnten auch die Prozesse anderer Komponenten sowie der jeweiligen Korrespondenz von Design dargestellt werden. Dies ist mit Blick auf die gesamte Untersuchung jedoch nicht notwendig. Wie die detaillierten Analysen jeder Komponente und ihrer Prozesse belegen, wurde kein Prozeß voreilig als zu banal disqualifiziert, sondern seine mögliche Wichtigkeit fand Berücksichtigung. Dies gilt sowohl für die Organisation der ästhetischen Erfahrung eines Menschen, als auch für das Wachsen einer Erfahrung in Richtung einer verbessernden antizipierenden Organisationsoption.

Zwei typische antizipierende Organisationsoptionen sind differenzierbar und im weiteren in ihrer Korrespondenz zu Design der Kategorie der Perspektivität zu untersuchen. Zunächst kann eine mögliche typische Option, nämlich das passive Warten auf das, was die Zukunft bringt und passend dazu die Beliebigkeit als Perspektivität von Design ausgeschlossen werden. Sie wäre im Sinne die Gesamtuntersuchung völlig unfruchtbar, beziehungsweise hätten Befürworter dieser Option keinerlei Bedarf an einer Untersuchung wie der vorliegenden. Die beiden typischen Optionen ergeben sich aus der Art der Erwartungen an die Zukunft. Wird von der Zukunft eine Verbesserung des vorhandenen Ist-Zustands ohne zu große Veränderungen erwartet, so entspricht dies einer resonanten Option. Dominiert jedoch die Vorstellung eines positiveren Soll-Zustands die Erwartung, so besteht größere Bereitschaft, das Vorhandene aufzugeben, Veränderungen zuzulassen und eine Verbesserung der ästhetischen Erfahrung durch die Einlösung einer initiativen Option anzustreben. Korrespondierend zur resonanten Option wird die interpretative und zur initiativen Option die emazipative Perspektivität von Design definiert (vgl. Punkt 6.2).

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