[5.3.1.1]
Zum Kriterium der »Experimentierbarkeit«
bezüglich der standardisierten Logik
Im Vergleich zu den bisher untersuchten, Medien verändernden Aktivitäten, ist
das Experimentieren am zielgerichtetsten. Es setzt nicht bei Null an, sondern
kombiniert verschiedene Medien systematisch miteinander, um nachvollziehbare Resultate zu
erhalten und neue Standards setzten zu können. Spielen oder Erproben sind
Tätigkeit, deren Zweck eher im Tun selbst liegt und deren Resultate für die Erfahrung nicht
unbedingt über die momentane Aktivität hinaus stabil sein müssen. Demgegenüber
ist das Resultat eines experimentierenden Prozesses nicht nur auf leichte
Nachvollziehbarkeit seiner Entstehung sondern bereits auf die Festlegung neuer
standardisierter Logiken für nachfolgende Interaktionen angelegt.
Patrick Süskinds Roman »Das Parfum« von 1985 führt dem Leser den Prozeß
zur Erzeugung von Medien in aufbauender Reihenfolge vom Spielen über das
Erproben zum Experimentieren, beziehungsweise zum Designen, anhand seiner Hauptfigur
Grenouille, die sich durch einen besonders ausgeprägten Geruchssinn auszeichnet, vor
Augen. Zunächst sammelt und verändert Grenouille spielerisch Gerüche im
Gedächtnis, dann erprobt er deren Herstellung durch Mischen von vorhandenen Essenzen,
schließlich experimentiert er mit den Duftstandards, entwickelt gezielt bestimmte
Ausgangsessenzen und erzeugt ganz neue Düfte. Grenouille ist nicht damit zufrieden,
etwas nachgemacht zu haben, um damit spielerisch oder erprobend seine durch
organische oder kontextuelle Medien gegebene Möglichkeiten zu verändern. Er will über
das Verändern innerhalb fester Rahmenbedingungen hinausgehen und einen neuen
unüberbietbaren Duftstandard schaffen. Wie in dieser Geschichte enstehen auch in an
deren Bereichen, in denen das Kriterium der Experimentierbarkeit zum
wichtigsten Inhalt der Erfahrung überhaupt wird, durch den Drang nach
Grenzüberschreitungen immer auch Konflikte. Seien diese durch die Beschränktheit der eigenen
Fähigkeiten, mangelnde Ressourcen oder soziale Restriktionen verursacht. Dies gilt sowohl im
persönlichen Lebensbereich, als auch in öffentlichen Bereichen wie beispielsweise in
der wissenschaftlichen Forschung. Die Gefahr von Konflikten ist insbesondere dann
gegeben, wenn sich das ästhetische Kriterium der Experimentierbarkeit mit der
imaginativen Qualität (vgl. Kapitel 2.2.3) und der explorativen Tendenz (vgl. Kapitel
3.2.3) verkoppelt. Diese Gefahr ist zu beachten, wenn Designer ihrerseits ihre Tätigkeit
primär als eine experimentelle verstehen und in dem Drang nach Neuem alle
anderen Kriterien der ästhetischen Erfahrung vernachlässigen.
Das innovative Potential von Design kann dem Kriterium der
Experimentierbarkeit dadurch entsprechen, daß es beispielsweise seinerseits durch experimentelles
Kombinieren mit bekannten Standards neue Standards erzeugt und in der Folge die
Nutzer zu experimentellen oder auch erprobenden Interaktionen und Erfahrungen anregt.
Die experimentelle Nutzung bleibt meist den Fachleuten vorbehalten.
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