4.2.2 Hierarchische Struktur ästhetischer Erfahrung
und distinktives Potential von Design
Bezüglich der Beteiligung an der Kommunikation gibt die hierarchische
Struktur strikte Grenzen nach außen wie nach innen vor. Während innerhalb der
integrativen Struktur keine weiteren Vorgaben den Kommunikationsfluß kanalisieren, zeichnet
sich die hierarchische Struktur nicht nur durch ihre Geschlossenheit nach außen,
sondern auch durch ihre interne Grenzsetzung gegenüber der Wirkung der
Kommunikationsbeiträge aus. Es findet eine gestaffelte Selektion, bzw. Regulation der
Kommunikation statt. Diese erfolgt je nach der Grundausrichtung des zugehörigen
sozialen Systems, in dem zum Beispiel dessen Erhaltung oder dessen Optimierung Vorrang hat.
Im zeitlichen Wandel verändert sich die integrative Struktur nahezu
unmerklich. Weil viele Kommunikationsbeiträge ohne abrupt große Wirkung zu entfalten, im
breiten Kommunikationsfluß absorbiert werden, erscheint sie relativ stabil obgleich
sie einer schleichenden Dynamik unterliegt. Dagegen läßt sich der
Kommunikationsfluß bezüglich der hierarchischen Struktur als eine regulative Dynamik beschreiben.
Obwohl ein System mit hierarchischer Struktur von außen betrachtet oft eher
statisch wirkt, prozessieren intern die Kommunikationsbeiträge und werden ständig
reguliert. Falls diese interne Dynamik zur Ruhe kommt, indem die internen
Regelmechanismen erstarren, ist das hierarchisch strukturierte System vom Zerfall bedroht. Denn
diese innere Erstarrung kann gegenüber der Kommunikationsbeteiligung zu einer
noch strengeren Abschottung führen, bezüglich derer nur noch wenige Menschen in
der Lage oder willens sind, sie durch ihre Kommunikationsbeiträge zu durchbrechen.
Somit sind immer weniger Menschen durch Kommunikationsbeiträge an dem System
beteiligt. Dadurch verliert es seine soziale Bedeutung und löst sich schließlich auf.
Der hierarchische Aufbau der Struktur richtet sich nach einer Zielvorgabe.
Diese bestimmt die Selektion der Kommunikationsbeiträge nach außen und reguliert den
internen Kommuikationsfluß. Die sozialen Akteure müssen sich bemühen, mit
ihren Kommunikationsbeiträgen der Zielvorgabe zu entsprechen, um kommunikativ an
einem hierarchisch strukturierten sozialen System mitwirken zu können. Wer
dieser Zielvorgabe nicht folgt, sie nicht kennt, verletzt oder ihr aus einem anderen
Grund nicht ausreichend genügt, wird ausgeschlossen. Durch diese Projektion eines Ziels
oder eines Ideals, egal ob dieses in der Zukunft oder der Vergangenheit liegt, ob es
materiell oder geistig vorgestellt wird, entsteht auch eine hierarchische Rangordnung
unter den Individuen, die die Zielvorgabe besser oder schlechter erfüllen können.
Diese Grundlegung von sozialer Ungleichheit als negativ zu wertende Auswirkung
einer hierarchischen Struktur ist besonders zu beachten, wenn ein hierarchisch
strukturiertes System im Verbund der sozialen Systeme zu dominant wird.
Positiv an der hierarchischen Systemstruktur ist die Möglichkeit, die
eingehenden Kommunikationsbeiträge nach Effizienz und qualitativer Optimierung zu
selektieren und eine dementsprechende Erfahrungsselektion bei den beteiligten Akteuren
anzuregen und weiterzuentwickeln. Dies gilt besonders hinsichtlich der Thematisierung
von komplexen Problemstellungen, die von einem Menschen alleine in Anbetracht
seiner begrenzen Lebenszeit niemals bewältigt werden könnten. Zwar gibt es Kulturen,
in denen Menschen ohne den durch hierarchische Strukturen angespornten
Konkurrenzkampf und Leistungswillen zusammenleben, innerhalb den westlichen
Gesellschaften hat jedoch die Orientierung an der hierarchischen Struktur in vielen
Lebensbereichen Vorrang. Ohne die generationenübergreifende Orientierung an Systemen mit
hierarchischer Struktur, dem Willen, auf ein Prinzip hinzuarbeiten und das System
gegenüber zu vielen alternativen Kommunikationsbeiträgen abzuschließen, wären viele
wissenschaftliche Erkenntnisse oder technische Erfindungen niemals entstanden.
Negativ ist bezüglich der hierarchischen Struktur zu werten, daß die spezifisch
optimierten Ergebnisse, deren Hervorbringung sie begünstigt, meist mit dem
Anspruch der Absolutheit verknüpft sind und keine Alternativen zulassen. Diese
Konzentration auf eine Zielvorgabe kann von der beteiligten sozialen Akteure als
unterdrückender einschränkender Zwang oder als klar vorhersehbare, langfristige Sicherheit
bezüglich ihrer gesamten kommunikativ ausgerichteten Erfahrungsdimension erlebt werden.
Gegenüber den breit angelegten Systemen mit integrativer Struktur sind
spezifisch optimierte Systeme mit hierarchischer Struktur langfristig zerfallsgefährdeter. Die
an der Kommunikation bezüglich einer hierarchischen Struktur beteiligten Akteure
versuchen durch gemeinsame Anstrengungen, die Zielvorgabe zu erreichen, stabilisieren
das System und setzen eine interne lineare Entwicklung auf ständige Optimierung in
Gang. Doch wegen dieser Konzentration von Zeit und Energie auf die interne
Kommunikationsselektion, können andere wichtige Aspekte wie die Pflege der Attraktivität
des Systems für die Mitwirkung an der Kommunikation nach außen in
Vernachlässigung geraten. Dann entsteht für das System zunehmend die Gefahr, an der einseitigen
Ausrichtung zu zerbrechen, obwohl es nach systemintern gesetzten Maßstäben immer
perfekter wird. Dieser Prozeß der internen Optimierung und dem externen
Attraktivitätsverlust ist beispielsweise bei Vereinen, religiösen Gruppierungen,
wissenschaftlichen Disziplinen, Industrieunternehmen, politischen Organisationen zu
beobachten. Nur wenn das hierarchisch strukturierte System nach außen attraktiv bleibt und
seine soziale Bedeutung behauptet, wollen sozialen Akteure mitwirken und bemühen
sich darum, den Zielvorgaben zu entsprechen und sich den zugehörigen
Schwierigkeitsgraden und Selektionsstrategien zu stellen.
Die ästhetische Erfahrung der Orientierung an der hierarchischen Struktur ist
gekennzeichnet durch die ständige Einschätzung der eigenen Position und dem
Bemühen um Aufstieg. Zudem ist mit ihr oft die Neigung verbunden, alle sozialen Systeme
mit einer hierarchischen Struktur zu verknüpfen. Beispielsweise kann ein Lehrer
seine höhere Position im Schulsystem verallgemeiner und auch in der eigenen Familie
oder dem Freundeskreis, gegenüber Handwerkern oder als Patient die Rolle des
Besserwissenden beanspruchen. Wie Untersuchungen zum »autoritären Charakter« belegen,
die in Amerika nach dem zweiten Weltkrieg unter der Mitwirkung von
Theodor W. Adorno (19031969) durchgeführt wurden, wird dessen Entstehen in hohem Maße
durch die unkritische, verallgemeinernde Orientierung an der hierarchischen
Organisationsstruktur sozialer Systeme begünstigt. Eine Versuchsperson der Gruppe, die Adorno
mit dem »autoritären Syndrom« charakterisiert, antwortet auf die Frage, was sie
tun würde, wenn sie mehr Geld hätte:
»Das würde unseren Lebensstandard anheben, eine Auto; wir könnten in eine bessere
Wohngegend ziehen; wir würden geschäfts- und persönliche Beziehungen zu
bessergestellten Leuten haben, abgesehen von einigen guten Freunden, zu denen man immer hält; und
wir würden natürlich mit Leuten, die eine Stufe höher stehen, zusammenkommen mit
besserer Erziehung und mehr Erfahrung. Wenn man da angelangt ist und mit solchen
Leuten Verbindung hat dann wird man von selbst auf die nächst höhere Stufe
befördert« (Adorno, 1973, S. 324).
Diese Äußerung verdeutlicht den Glauben an die Wirkung der repräsentativen
oder demonstrativen zur Schaustellung des eigenen Besitzes auf eine allgemeine
soziale Anerkennung. Während Bourdieu mit seinem Konzept des Habitus bezüglich der
französischen Gesellschaft zeigt, daß ein sozialer Aufstieg sozusagen durch das
Einkaufen in eine höhere Schicht nicht gelingen kann, muß doch vermutet werden, daß
im Zuge der Verbreitung der Konsumkultur weiterhin viele Menschen der zitierten
Argumentation zustimmen und sich wechselseitig durch ihr dementsprechendes
Verhalten bestätigen. Die Orientierung an der hierarchischen Struktur, die kritiklose
Übernahme der Zielvorgaben und der Glaube an die Möglichkeit des persönlichen
Aufstiegs führen zu einer Konkurrenz, bei der nur wenige Sieger übrig bleiben. Trotzdem
wird nur dieser Weg gesehen und alle Störfaktoren wie beispielsweise andere Menschen,
die sich nicht an dieser Konkurrenz beteiligen wollen oder es nicht können, werden
mißachtet. Hier liegt die Gefahr der Verstärkung von sozialer Ungleichheit und die
Bestätigung bestehender sozialer Machtverhältnisse durch die dominante Orientierung
an der hierarchischen Struktur.
Bei der Wertung, ob ein System mit hierarchischer Struktur negativ oder
positiv einzuschätzen ist und daher durch Design entsprechend beeinflußt oder
unterstützt werden sollte, sind wenigstens die Zielvorgaben, an denen sich die hierarchische
Struktur ausrichtet, zu überprüfen. Solange sich jedoch moderne Gesellschaften über
das Konsumangebot definieren und der Ausdruck von Kaufkraft durch
demonstrativen Konsum wichtig ist, um eine bestimmte soziale Postition zu behaupten, stellt
Design einen wichtigen Marketingfaktor dar. Design hat diesbezüglich die Funktion,
Produktmarken zu charakterisieren und in Relation zur Preisgestaltung und zur Kaufkraft
der Kunden Niveauunterschiede im Produktangebot einer Firma auszudrücken. Wenn
diese Funktion von Design auch in vielen Fällen fragwürdig erscheint, deckt sie doch
einen Bereich ab, dem große wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Demgegenüber ist
allerdings eine zunehmende Zahl bewußter und kritischer Konsumenten zu
registrieren, die sich nicht durch ein aufgeblähtes Markenimage blenden lassen.
Neben der hier hervorgehobenen Ausrichtung der hierarchischen Struktur an
der Kaufkraft als Leitgröße, sind noch andere Zielvorgaben denkbar, die nicht zu
einer willkürlichen sozialen Ungleichheit führen, sondern der Verschiedenartigkeit der
Menschen im positiven Sinne entgegenkommen. Beispielsweise bietet der
Leistungssport körperlich mit ungewöhnlichen Fähigkeiten ausgestatteten Menschen die
Möglichkeit, sich mit ihresgleichen zu messen. Ebenso fühlen sich hochbegabte Kinder
in Eliteschulen besser verstanden und in ihren Anlagen gefördert, ohne deshalb
andere Schüler geringzuschätzen.
Diesem festzustellenden Bedürfnis vieler Menschen, ihre besonderen
Fähigkeiten mit Gleichgesinnten messen und weiterentwickeln zu können, sich also von
andersartigen Menschen zu differenzieren, sollte die Bereitstellung von Angeboten für
die kommunikative Erfahrungsdimension bezüglich der hierarchischen Struktur
entsprechen. Hierfür ist ein Potential von Design erforderlich, das Unterschiede
kenntlich macht. Diese spezifische Ausrichtung von Design wird im folgenden als
distinktives Potential bezeichnet.
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