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3.1.2 Kreiskausalität und Akzentuierung durch subliminale Organisationstendenzen

Der bedingende Einfluß der subliminalen Organisationsmechanismen auf die ästhetische Erfahrung ist nur zum Teil durch gattungsspezifische, intersubjektiv ähnliche, gehirninterne Mechanismen bestimmt. Wie sich als Fazit der Analysen zur Charakterisierung der subliminal bedingten Komponente ergibt, liegt der im vorliegenden Untersuchungszusammenhang wesentlichere Anteil in der individuellen, einzigartigen Ausprägung der subliminal bedingten Komponente der Erfahrung. Diese entsteht durch die rückgekoppelte Organisationsdynamik der subliminalen Teilprozesse. Anknüpfend an das Modell des Radikalen Konstruktivismus, ist die Selbstorganisation des Organismus nicht nur der Motor, sondern zum großen Teil auch das Steuer für dessen Verhalten. Aus der subliminalen Organisationsdynamik erwachsen Tendenzen, welche bevorzugte Akzentuierungen, nicht nur allgemeine Bedingungen in die gesamte Erfahrungsorganisation einfließen lassen. Diesen akzentuierenden Tendenzen, die durch die selbstorganisierte neuronale Dynamik bereits auf subliminaler Ebene entstehen, kann sich kein Mensch mit bewußter Anstrengung auf Dauer entziehen, ohne seinen gesamten Selbstorganisationsmechanismus zu schädigen und geistig oder körperlich krank zu werden. Daher ist die Beachtung der subliminalen Tendenzen als das bewußte Verhalten beeinflussende und in besonderer Weise akzentuierende Bedingungen für das Empfinden von Lebensqualität wesentlich. Entsprechend muß Design, das der Verbesserung von Lebensqualität dienen soll, auf diese Tendenzen abgestimmt sein.

Erschwert wird die Typisierung der subliminalen Organisationstendenzen dadurch, daß sie für eine explizite Analyse genaugenommen verschlossen sind, da ihre Anfänge ja auf einer dem Bewußtsein nicht zugänglichen Ebene liegen. Trotzdem bietet sich ein sinnvoller Ansatz zur Unterscheidung von drei markanten Tendenzen an. Er gründet in der von jedermann nachvollziehbaren Zuordnung der bewußten Erfahrungen in drei Bereiche. So scheint das Wirklichkeitsempfinden, beziehungsweise die phänomenale Erfahrung der Welt in selbstverständlicher Weise in drei deutlich unterscheidbare Richtungen zu tendieren. Gerhard Roth stellt diesen Zusammenhang zwischen gehirninterner Selbstorganisation und bewußter Erfahrung folgendermaßen dar:

»Wir gehen in Einklang mit der Gehirnforschung davon aus, daß die phänomenale Welt ein Konstrukt unseres kognitiven Systems und damit unseres Gehirns ist. Diese phänomenale Welt umfaßt alles, was wir überhaupt erleben können, nämlich sinnliche Wahrnehmungen, Gedanken und Empfindungen, Vorstellungen und natürlich auch Konstrukte unseres Denkens. Ebenso ist die grundsätzliche Untergliederung der phänomenalen Welt in drei Bereiche, nämlich die uns umgebende Welt, unseren Körper und unsere mentale Welt, eine Konstruktion unseres Gehirns. Diese Untergliederung vollzieht sich auf der Basis der sensomotorischen Interaktion mit der Umwelt, auch wenn diese drei Bereiche ontologisch verschieden erscheinen. Das Gehirn nimmt diese Unterscheidung vor, da sie von entscheidender Bedeutung für das Überleben des Organismus ist: es muß für den Organismus stets klar sein, was Ereignisse der Umwelt sind, was den eigenen Körper betrifft und was bloß gedacht, gefühlt, erinnert, gewollt ist. Es ist eine der Hauptleistungen unseres kognitiven Systems während seiner Ontogenese, diese ontologischen Bereiche zu konstituieren.« (Roth, 1992, S. 128)

Daher sind im Zustand der Bewußtheit die entsprechenden Bereiche, eine innere Welt, eine äußere Welt und eine körperliche Welt, klar voneinander zu trennen und meist ist problemlos zu sagen, welche Welt im Erleben gerade Vorrang hat. Im Zustand von weichendem oder erweitertem Bewußtsein wie Müdigkeit, Drogeneinwirkung oder Streß öffnen sich die Grenzen und die Bereiche scheinen sich zu einer neuen schrankenlosen Welt zu vereinigen. Das heißt, daß sich die subliminalen Tendenzen in der Übergangszone vom Subliminalen zum Bewußten zunehmend ausprägen und für das Bewußtsein erstens die Trennung der Bereiche vorstrukturieren und zweitens das bewußt einer Motivation folgende Handeln auf die Priorität der jeweiligen subliminalen Tendenz zu einem Bereich hindrängen. Jedem der drei phänomenalen Bereiche ist eine Tendenz zuzuordnen, der körperlichen Welt die somatische Tendenz, der inneren Welt die introvertierte Tendenz und der äußeren Welt die explorative Tendenz.

Für ein erfülltes Menschsein sind Möglichkeiten zum Ausleben jeder der drei subliminalen Tendenzen wichtig. Je nach persönlicher Entwicklungsgeschichte und Lebensphase oder soziokultureller, steuernder Einflußnahme, erlangen die Tendenzen unterschiedliches Gewicht im individuellen Verhaltensfluß. Sie können einseitige Priorität entwickeln, sich in unregelmäßigen Abständen nacheinander in den Vordergrund drängen und den Hauptprozeß der subliminalen Komponente dominieren oder in einem ständigen Streben nach gleichgewichtiger Verteilung abwechseln. Eine klare Trennung der Tendenzen ist nur im Zuge der Analysen notwendig, zwar für die Analyse notwendig, im konkreten Erleben kommt es zu Wechselwirkungen und Mischformen.

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