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[2.3.1]
Zum Hauptkriterium der »reflektierten Sinnlichkeit«
bezüglich der perzeptiven Qualität

Wenn die Erfahrung als perzeptive Qualität bewertet wird, ist das bewußte Selbst in seiner Gegebenheitsweise Thema ohne jegliche Interpretation oder Wertung des seelischen Zustands. Unter diesem Blickwinkel ist das Selbst aber allein durch das Bewußtsein von sinnlichem Reizmaterial gegeben. Das Hauptkriterium der reflektierten Sinnlichkeit bewertet daher ausschließlich das reflektierende, vergnügliche Spiel mit dem die bewußte Selbsterfahrung konstituierenden, präsenten Sinnesmaterial. Fragen der Art, welche Bedeutung diese Sinnesreize haben, ob sie von natürlichen oder künstlichen, von kostbaren oder banalen Objekten ausgehen oder welche Gefühle, wie der Wunsch, ein Objekt zu besitzen, oder eine angenehme Empfindung sie sonst hervorrufen, bleiben ausgeklammert. Dadurch unterscheidet sich die reflektierte Sinnlichkeit vom ungebremsten, lustvollen Genuß. Durch die distanzierte, subjektive Reflexion des ästhetischen Reizmaterials kann dieses in seinem Sosein bestehen bleiben.

»Indem nämlich das Subjekt im Geschmacksurteil sich scheinbar nur auf sich selbst konzentriert und ganz vom Gegenstand absieht, ihn weder dem Begriff noch dem Begehren unterwirft, verzichtet es darauf, sich den Gegenstand zu eigen zu machen und läßt ihm gerade dadurch zum ersten Mal die Möglichkeit in seinem Selbstsein, seiner besonderen und irreduziblen Wirklichkeit, die sich wie die praktische Vernunft selbst ihr Gesetz zu geben scheint, hervorzutreten.« (Hauskeller, 1994, S. 218)

Die Konzentration auf den ästhetischen Eigenwert wird in der Ästhetik anstelle von Sinnlichkeit auch mit Kontemplation bezeichnet. Meist steht Kontemplation für die anschauende Versenkung, mit dem Ziel, dem Wahrhaftigen, Göttlichen, näher zu sein. So auch in der Konzeption von Plotin, der die Kontemplation als höchste Stufe ästhetischer Erfahrung deutet. Diese Assoziation zum Sakralen bricht Martin Seel auf, indem er mit Kontemplation ganz profan einen, von anderen wichtigen Aspekten des Ästhetischen benennt. Seel definiert die ästhetische Erfahrung unter dem kontemplativen Aspekt durch die Scheidung der Sinne vom Sinn. Er belegt exemplarisch, daß sie sich besonders gut mittels der Anschauung von Natürlichem entwickelt (vgl. Seel, 1996).

Wie schwierig es ist, künstlerische Objekte zu gestalten, die zur gezielten, rein kontemplativen Rezeption führen, zeigen Werke, die der konkreten Kunst zuzurechnen sind wie Arbeiten von Josef Albers u.a. Diese Werke dienen weder einem praktischen Zweck noch sprechen sie das Gefühl oder psychologische Deutungen an, und doch entwickelt sich die kontemplative Rezeption, das reine Spiel der Sinnlickeit, nur eingeschränkt. Mit ein Grund hierfür ist die Reduktion auf elementare Gestaltungsmittel und geometrische Anordnungen. Kant bemerkt hierzu:

»Alles Steif-Regelmäßige (was der mathematischen Regelmäßigkeit nahe kommt) hat das Geschmackswidrige an sich: daß es keine lange Unterhaltung mit der Betrachtung desselben gewährt, sondern, sofern es nicht ausdrücklich die Erkenntnis oder einen bestimmten praktischen Zweck zur Absicht hat, lange Weile macht.« (Kant, 1979, S. 163)

Es ist schwer, auf ein Minimum an Gestaltungsmitteln reduzierte und konzentrierte Objekte in ihrem reinen Eigenwert, dem syntaktischen Sosein, der reflektiven Sinnlichkeit zu entfalten, ohne an der Reflexion elementarer Bedingungen der Wahrnehmung wie dem Vergleich der Organisation der Gestaltelemente mit Gestaltgesetzen oder der Beziehung des Werks mit seinem räumlichen Kontext haften zu bleiben oder die ästhetische Reflexion zu verlassen und in die intellektuelle Reflexion, die rein theoretische Kontemplation, überzugleiten. Sinnliche Kontemplation oder reflektierte Sinnlichkeit kombiniert isolierte Reize spielerisch miteinander und ist als Dynamik vom Vielgliedrigen, Ungeordneten zum Einfachen, Harmonischen oder umgekehrt entwickelbar.

Die Ausrichtung von Design auf die formative Aktualität sollte eine Balance zwischen Sinnlichkeit und Reflexion herstellen, um nicht durch zu hohe Ordnung jede Sinnlichkeit auszuschalten oder umgekehrt durch zu viele ästhetische Reize die Reflektierbarkeit nicht lahmzulegen.

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