[2.3.2]
Zum Hauptkriterium der »projektiven Einigkeit«
bezüglich der imaginativen Qualität
Während das gegenwärtige Gefühl der Verbundenheit flüchtig ist und an
momentanes Erleben gekoppelt bleibt, ergibt sich aus der Gedächtnisfunktion von
Gefühlen als allgemeinen Erfahrungsqualitäten die Grundlage zur langfristigen Erhaltung
von gemeinsamen Erlebnissen, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder aktiviert und
weiterentwickelt werden können. Eine kommerzielle Umsetzung findet das Wissen um
die Wichtigkeit dieses Wir-Gefühls für das Selbstkonzept und die Wertung von
Erfahrung anhand der Hauptkriterien der gegenwärtigen Verbundenheit und der projektiven
Einigkeit durch Incentives-Agenturen. Diese organisieren besondere Reisen als
Belohnung und Ansporn für erfolgreiche Mitarbeiter eines Unternehmens. Mit diesen
Reisen wird für die zur Teilnahme ausgewählten Firmenmitglieder zunächst ein
verbindendes Erlebnis erzeugt. Darüberhinaus wird aber auch die Projektion von
Einigkeit in Form einer unvergeßlichen gemeinsamen Erinnerung oder der Aussicht auf ein
noch schöneres Zusammensein im nächsten Jahr geschaffen.
Die Erinnerung oder die Vorstellung in Zukunft etwas ähnlich Schönes zu
erleben ist der imaginativen Qualität zuzuordnen. Hinsichtlich der Beziehung von
imaginativer Qualität und Kommunikation, wird die projektive Einigkeit zwischen den
Menschen zum wichtigsten Hauptkriterium zur bewußten ästhetischen Erfahrungsbeurteilung.
Die Projektion dieser Einigkeit kann sowohl in die Zukunft, als auch in die
Vergangenheit gerichtet sein und ist unabhängig von einer gegenwärtigen
Zusammenkunft, obgleich diese bestärkend wirken kann.
So bilden Menschen, die ansonsten völlig unterschiedlich leben,
Gruppierungen aufgrund des gemeinsamen Bezugs auf die projektive Einigkeit, die wesentlich zu
ihrem Selbstkonzept gehört. Menschen die ihre Heimat verlassen mußten und sich
entwurzelt fühlen, treffen sich mit Schicksalsgefährten, mit denen sie daheim
womöglich niemals zu tun gehabt hätten, und stellen eine projektive Einigkeit durch den
gemeinsamen Bezug auf das Heimatland her. Wissenschaftler, die in ihre einsame
Forschung vertieft sind, werten ihre damit verbundenen ästhetischen Erfahrungen
trotz gegenwärtiger Mißerfolge an der imaginativen Qualität und fühlen sich durch
eine projektive Einigkeit mit Kollegen verbunden. Die gemeinsame Hoffnung auf das
Erreichen eines wissenschaftlichen Durchbruchs in der Zukunft, kann sogar
Konkurrenten vereinen. Ebenso stellen beispielsweise Politiker die Reflexion ihrer auf das
innere Selbst bezogenen ästhetischen Erfahrung zurück und bewerten diese vorwiegend
im Hinblick auf die projektive Einigkeit, das
gemeinsame Ziel der Partei.
Durch das Hauptkriterium der projektiven Einigkeit entsteht einerseits ein
starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und andererseits ein markanter Orientierungswert
als Bezug für die individuelle ästhetische Erfahrung. Dies gilt ungeachtet der
inhaltlichen Bedeutung oder ethischen Bewertung gleichermaßen für kommunikatives
Engagement innerhalb auf breiter Basis sozial legitimierter Gruppen, wie auch innerhalb
problematischer Randgruppen. Eine Lebensgestaltung die großteils aus der
kommunikativen, auf die Mitmenschen bezogenen Dimension des Selbstkonzepts erwächst und sich
die perzeptive und die empathive Qualität vernachlässigend an der imaginativen
Qualität und dem Hauptkriterium der projektiven Einigkeit orientiert, ist immer wieder
kritisch zu prüfen. Die Ausrichtung der ästhetischen Erfahrung auf eine Projektion
und die Gewöhnung an diese kann leicht dazu führen, daß sie zum lebensfremden und
gefährlichen Dogma mutiert. An diesem kann zwar die eigene Lebensqualität
verankert bleiben, aber durch die Bindung des Selbstverständnisses an Mitmenschen und
Kommunikation wird mit der persönlichen Orientierung an der projektiven Einigkeit
ungeprüft die Überzeugung verbunden, daß diese Projektion auch für andere
Menschen gut sein muß. Darin liegt die Gefahr einer gewaltsamen Realisation der
projektiven Einigkeit. Dies gilt für rückwärtsgewandte Projektionen von Fundamentalisten
ebenso, wie für zukunftsweisende Projektion von Utopisten.
Der Gefahr einer Verabsolutierung der projektiven Einigkeit ist dadurch zu
begegnen, daß die Projektionen nicht in weite Ferne gerückt werden oder zu große
Mächtigkeit erhalten wie dies bei religiösen Projektionen oft der Fall ist. Ihre
Einlösungsmöglichkeit muß erreichbar erscheinen und nach einer eventuellen
Konkretisierung der projektiven Einigkeit als gegenwärtige Verbundenheit, sollten neue
Projektionen entwickelbar bleiben. Mit diesem Verständnis kann die projektive Einigkeit als
Hauptkriterium der imaginativen Qualität innerhalb der ästhetischen Erfahrung viel
zur Kommunikationsbereitschaft und zum friedlichen Zusammenleben beitragen und
ist deshalb durch die Ausrichtung von Design auf die prospektive Aktualität zu fördern.
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