2.2 Kategorie der Aktualität von Design in Korrespondenz
zur gefühlsbezogenen Akzentuierung ästhetischer Erfahrung
Einige Beispiele verdeutlichen zunächst die Unterschiede der drei Qualitäten für
das Erleben einer ästhetischen Erfahrung. Mit Konzentration auf die perzeptive
Organisationsqualität wird das sinnlich gegebene ästhetische Material weitgehend in
seinem Sosein reflektiert, ohne diesbezüglich aufkommende Gefühle oder ableitbare,
handlungsweisende Erkenntnisse in die momentane Wertung der Erfahrung
einzubeziehen. Beispielsweise wird eine beliebige Zeitung aus einem Stapel genommen und
durchgeblättert, ohne sie sofort zu lesen oder Bilder und Zeichnungen mit emotionaler
Anteilnahme zu betrachten. Vielmehr richtet sich der Blick auf das Layout, die
rhythmische Anordnung von Textblöcken und Spalten, auf formale Details wie Linien
und fette, große Schriftelemente o.ä. Die Spannweite und die Tiefe dieser vom
eigenen Selbst distanzierten Reflexion reicht von der elementaren, kindlichen Rezeption,
die, bezogen auf das vorherige Beispiel, die gestalterischen Elemente der Zeitung
thematisiert, weil das Kind sowieso noch nicht lesen kann oder mit den abgebildeten
Prominenten oder Karikaturen keine Gefühle verbindet, bis zur fachlich geübten
Reflexion, deren Genuß darin liegt, die Rezeption zu verfeinern, sich mit
Zeilendurchschuß, Einzügen, Spationierungen, Schrifttypen usw. zu beschäftigen und sich ein Urteil
über deren perzeptive Qualitäten zu bilden. Ebenso können die mit der Tonwiedergabe
zusammengeschalteten, rhythmisch blinkenden, verschiedenfarbigen Leuchtdioden
einer Hifianlage, deren Bedienelemente usw. reflektiert werden, oder ein
Industriegebäude, dessen mehrfarbige, waagrechten Versorgungsrohre die massigen Baukörper
verbinden und in Korrespondenz zu den düster aufragenden Schornsteinen stehen, einen
Anlaß zur Entfaltung der perzeptiven Qualität bieten.
Die Organisation von Ästhetischem zur empathiven Qualität erfolgt anhand
von Kriterien und Anregungen, welche die subjektive Befindlichkeit und die
Innenwelt, vorgeben. Aus einem Zeitschriftenstapel wird beispielsweise die zur
momentanen Befindlichkeit passende Zeitung ausgewählt. Im Wartezimmer eines Arztes, im
Ungewissen bezüglich der Ursachen des persönlichen Zustands, fällt die Wahl dann eher
auf Zeitschriften, welche Lebensgeschichten schildern und Fotos zeigen, die die innere
Anteilnahme forden, als auf informative Magazine oder aber fremdsprachige
Zeitungen, deren ungewohnte Typografie in einer anderen Stimmung zur reflektiven
Sinnlichkeit angeregt hätte. Der Blick sucht nach Anknüpfungsspunkten für eine innere Nähe.
Das Werbefoto einer Versicherung, auf dem nicht perfekte, aber glückliche Menschen
gezeigt werden, oder die sanft geschwungene Titelschrift einer Geschichte fallen auf.
Momentan interessiert weniger, welcher Sportler welches Match gewonnen hat,
sondern die Schilderung der erfolgreichen Behandlung einer Knieverletzung. Es werden
diejenigen ästhetischen Reize bevorzugt, die mit dem momentanen Seelenzustand in
irgendeiner Form korrespondieren. Der Lebenskontext wird zur beseelten Mitwelt. Eine
Hifianlage mit vielen blinkenden Leuchtdioden wird nicht als solche wahrgenommen,
sondern mit der Eigenschaft von Aufgeregtheit oder Hektik belegt und je nach
Temperament negativ oder positiv gewertet. Auch der Gang durch einen stillgelegten
Industriekomplexes ist eher von Empfindungen wie Leblosigkeit oder Hoffnungslosigkeit
begleitet, als von einer perzeptiven Erfahrungsqualität.
Unter der Akzentuierung der ästhetischen Erfahrung durch die imaginative
Qualität nimmt jemand beispielsweise nur zur Unterhaltung eine Zeitschrift zur Hand
und blättert sie achtlos durch, bis er etwas bemerkt, das seine Aufmerksamkeit weckt.
Nun konzentriert er sich auf die Zeitschrift und auf das weitersuchende Durchdenken.
Auf diese Weise entwickelt sich ein Erkenntnisprozeß, während dem auch
Konsequenzen des gerade Erkannten mitangedacht werden. Es entsteht der Wunsch, hierzu
weiterführend aktiv zu sein. Dadurch kann sich eine Dynamik entfalten, die nicht an
der kontemplativ, zeitentrückten Reflexion der perzeptiven Qualität anhält oder der
innerlichen Intensität der empathiven Qualität nachspürt. In einer Art rastlosem
Streben wird das ausgewählte ästhetische Material spielerisch instrumentalisiert und nur
bezüglich seiner Funktion für den nächsten Sprung im Orientierungsprozeß
beachtet. So tragen blinkende Dioden an einer Hifianlage nur noch wenig zur
ästhetischen, unter der imaginativen Qualität akzentuierten Erfahrung eines technischen
Tüftlers bei, sobald sie eingebaut sind und funktionieren. Die Organisation des
Ästhetischen hinsichtlich der imaginativen Qualität, berücksichtigt die Gegenstände nur als
Anlaß, sich andere Möglichkeiten ihrer Anordnung oder Verwendung vorzustellen.
Anschließend werden die typischen Qualitäten weiter differenziert und in
Relation zu darauf abgestimmtem Design gebracht. Der perzeptiven Qualität ästhetischer
Erfahrung entspricht die formative Akualität von Design. Der empathiven
Organisationsqualität wird die animative Aktualität, der imaginativen Organisationsqualität
die prospektive Akualität von Design zugeordnet.
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