1.2 Modell zur Organisationsdynamik der wirklichkeitsbildenden Basis
Wie die Beschreibung der Charakteristika der Erfahrung und ihrer jeweils
zugehörigen Komponenten von Erfahrung verdeutlicht, sind die Komponenten und die mit
ihnen zu verbindenen Einflüsse auf die Erfahrung nur analytisch voneinander zu
trennen. Sie wirken ständig an der Generierung der Erfahrung mit und wechselwirken
dabei miteinander. Die Erfahrungsbildung ist daher als veränderliches Resultat
komplexer, korrelierender Prozesse, im Sinne einer ganzheitlichen und dynamischen
Organisation aufzufassen. Dies veranschaulicht das im folgenden darzustellende Modell (vgl.
Abbildung 1), aus dem anschließend die Vorgehensweise und Gliederung der Analyse
des Verhältnisses von Design und ästhetischer Erfahrung entwickelt wird. Zu
berücksichtigen ist, daß bereits die Auswahl der Charakteristika im Hinblick auf die
Untersuchungsthematik erfolgte und weitere, an der Erfahrungsbildung beteiligte
Einflußbereiche ausklammert. Das zu entwickelnde Modell zur Organisationsdynamik von
Erfahrung bringt in erster Linie die Theorieposition und die Zielsetzung der
Untersuchung zum Ausdruck. Sie ist nicht als Versuch mißzuverstehen, die angenommene
dynamische Ganzheitlichkeit der Erfahrung präzise nachbilden zu wollen.
Erfahrung wird mittels der Gesamtuntersuchung als ein System modelliert. In
dieses Systemmodell fließen drei Konzepte der Systemtheorie ein, die im Anschluß an
die Grundlegung der Allgemeinen Systemtheorie durch den Biologen
Ludwig von Bertalanffy (1901-1972) entstanden. Erstens das funktionale Konzept, das ein
System vereinfachend als black-box modelliert und von außen beobachet, welchen
Einwirkungen das System in seiner Umwelt ausgesetzt ist und welche Prozesse des Systems
in seine Umwelt wirken. Allerdings ist in diesem Zusammenhang nicht von input
und output im klassischen Sinne die Rede, da unter Hinzuziehung des zweiten
Konzepts kein festgelegter Funktionszusammenhang zwischen dem System und seiner
Umwelt anzunehmen ist. Das zweite, das kybernetische Konzept, welches u.a. von
Heinz v. Foerster und Maturana weiterentwickelt wurde und auf
Norbert Wiener zurückgeht, stellt die Selbstorganisation eines Systems in den Vordergrund (vgl. Schmidt,
1987). Drittens ist das hierarchische Konzept einzubeziehen. Dieses gliedert die
Komplexität eines Systems dadurch auf, daß ein System als von Teilsystemen generiert
verstanden wird und auch diese Teilsysteme wiederum als umfassendere Systeme,
welche ihrerseits aus Teilsystemen entstehen, zu analysieren sind (vgl. Lenk/Ropohl,
1978 und Seiffert, 1991).
Grundprinzip der Selbstorganisation ist die Rückkopplung. Sie entsteht
dadurch, daß Wirkungen, welche ein Prozeß in Gang setzt oder Resultate, zu denen ein
Prozeß führt, wieder in den Ausgangsprozeß zurückgegelangen und ihn ihrerseits
beeinflussen. Rückgekoppelte Systeme werden erst seit wenigen Jahrzehnten
wissenschaftlich differenziert untersucht. Entgegen früheren Annahmen können sie
unterschiedliche Entwicklungen hervorbringen. Eine zirkuläre
Organisation führt nicht zwangsläufig zu Gleichgewichtszuständen im Sinne einer ganzheitlich ausgewogenen Harmonie.
Bestimmte Wirkprozesse können andere dominieren (vgl. an der Heiden, in:
Zänker Hrsg., 1991). Dadurch sind im Prinzip vielfältige und weiterhin veränderbare
Ausformungen möglich. Die Annahme eines Idealzustands als Grundlage für Modell und
Analyse wird dieser vielfältigen Dynamik nicht gerecht. Um ein besseres Verständnis
für die vielfältigen Ausformungen zu erhalten, muß das Modell auf die Erfassung der
Prozesse, aus denen sich die Organisationsdynamik formt, angelegt sein und darf
sich nicht auf die Abbildung von Zuständen oder Bestandteilen und Eigenschaften
beschränken. Systeme oder Teilbereiche als stabile Einheiten sind daher
gleichzeitig immer auch als Produkte und Zwischenstadien von Prozessen zu modellieren.
Eine weitere theoretische, von der Beobachterperspektive abhängige
Differenzierung des Modells entsteht durch die Zuordnung der an der Organisation des
Gesamtsystems beteiligten Teilsysteme oder -prozesse zu verschiedenen Niveaus. So bildet
zum Beispiel die gesamte Organisationsdynamik der wirklichkeitsbildenden Basis das
oberste Niveau. Ein mittleres Niveau umfaßt die Teilsysteme und Teilprozesse aus
deren Zusammenwirken die Gesamtdynamik generiert wird. Weitere Niveaus entstehen
durch die Untergliederung der Teilsysteme oder -prozesse in Subsysteme- oder -prozesse
usw. Die den verschiedenen Niveaus zugeordneten Systeme sind durch die zugehörigen
Prozesse miteinander vernetzt, das heißt, sie wirken aufeinander ein. Drei
Wirkweisen sind zu unterscheiden. Erstens wechselwirken Systeme und Prozesse auf dem
gleichen Niveau miteinander. Dies kann als Querkausalität bezeichnet werden. Zudem
wechselwirken Systeme und Prozesse eines Niveaus zweitens mit dem höheren Niveau,
dies wird als Kausalität von unten nach oben gekennzeichnet, und drittens mit dem
niedrigeren Niveau, diese Wirkweise benennt die Kausalität von oben nach unten.
Diese allgemeinen Maßgaben zur Modellierung von Systemen und Prozessen
werden im folgenden auf das Modell für die wirklichkeitsbildende Basis von
Erfahrung übertragen (vgl. Abbildung 2). Auch in den weiteren Kapiteln der Untersuchung
wird jeweils ein Modell entwickelt, das diesen Maßgaben entspricht.
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