Zum Kriterium der »Direktheit« bezüglich der somatischen Tendenz

Während einer Sightseeing-Tour in einer fremden Stadt ergreifen Touristen häufig unmittelbar jede Gelegenheit, die sich zum kurzfristigen Hinsetzen und Ausruhen des Körpers bietet. Darüber, ob sich ein Geländer, ein Stein, eine Treppe, ein Brunnenrand usw. zum bequemen Sitzen eignet, wird nicht lange kognitioniert. Die Anknüpfung scheint direkt möglich zu sein. Aufgrund solcher Beobachtungen entwickelte James J. Gibson eine Theorie der »direkten Wahrnehmung«, die er in seinem Hauptwerk »Die Wahrnehmung der visuellen Welt«, 1973, darlegte. Wie die konstuktivistische Wahrnehmungstheorie lehnt auch Gibson Repräsentationsmodelle, von denen die Kognitivisten ausgehen, ab. Seine Begründung hierfür basiert allerdings konträr zur Annahme der Konstruktivisten, dass Wirklichkeit eine vom menschlichen Organismus abhängige Konstruktion ist, auf der These, der Organismus sei im Lauf der Evolution für die unmittelbare Aufnahme von Informationen aus der Umwelt optimiert worden. Dieser Ansatz wurde für die vorliegende Untersuchung bereits verworfen (vgl. Kapitel 1.3).

Interessant bleibt die Beobachtung Gibsons, dass Menschen hinsichtlich der somatischen Tendenz mit großer Direktheit Anschluss zu dem vorgefundenen Reizmaterial herstellen können. Gibson beschreibt dies mit dem Begriff der Affordanz, des Aufforderungscharakters eines Objekts. Zum Werfen werden Dinge genommen, die greifbar sind, zum Anlehnen werden Dinge gesucht, die stabil sind, zum Streicheln werden Dinge berührt, die haptisch reizvoll sind usw. Durch diese Beobachtungen erlangte Gibsons Ansatz in der Designtheorie Bedeutung, denn er stellt die Wichtigkeit der speziellen Beschaffenheit, des Designs von Dingen heraus. Was heißt es aber zu sagen, dass ein Stuhl zum Sitzen, ein Türgriff zum Greifen, ein roter Knopf zum Drücken, eine Treppe zum Hinaufgehen usw. je besser auffordert, desto direkter sein Design wahrnehmbar ist? Design wird dann über eine instruktive Funktion definiert, die dazu beiträgt, das selbstbestimmte Verhalten eines Individuums ähnlich dem Reiz-Reaktions-Ansatz auszuklammern oder abzuwerten.

Trotz dieser Kritik an der designtheoretischen Adaption von Gibsons Ansatz, ist Direktheit als eine Art unmittelbarer Anschließbarkeit in der Interaktion mit Objekten der Umwelt bezüglich der somatischen Tendenz ein wichtiges Kriterum für das sensitive Potential von Design. Dies gilt insbesondere in Situationen, die schnelles Handeln erfordern und hinsichtlich allen Tätigkeiten, welche vom einzelnen nur selten ausgeübt werden und für die deshalb keine körperliche Routine vorausgesetzt werden kann. Die Art und Weise des entsprechenden sensitiven Potentials ist durch möglichst eindeutig interpretierbare, direkte Aktivierungsmöglichkeiten zu charakterisieren, um zu betonen, dass letztlich das Individuum handelnder Akteur bleibt und nicht durch den Begriff des Aufforderungscharakters.

Beispiel für das sensitive Potential von Design

Auto oder einem Feuerlöscher sollte möglichst direkt erfassbar und ausführbar sein. Durch dem sensitiven Potential von Design entsprechende Gestaltung der Bedienelemente, seien dies Druckknöpfe, Haltegriffe oder Dosenverschlüsse, muss eine möglichst unmittelbare kognitive Anschließbarkeit und eine problemlose Handhabung erreicht werden. Bewegliche Teile müssen als solche zu erkennen sein. Die Art der Bedienung wie Drücken oder Ziehen sowie eine Vorstellung des Kraftaufwands sollte direkt in das Agieren einfließen können. Manchmal ist es dagegen notwendig, die Direktheit als Kriterium des Subprozesses der Anknüpfung zu erschweren, bzw. Aktivierungsmöglichkeiten zu verstecken wie bei der Gestaltung von Schutzeinrichtungen ­ Drehverschlüsse, Steckdosenabdeckungen, TV-Sicherungen ­ für Kinder.