Zum Kriterium der »Befindlichkeit« bezüglich der introvertierten Tendenz

Hinsichtlich der introvertierten Tendenz stellt die Befindlichkeit oder die Stimmung den Selektionsfilter für die Kanalisierung dar. In einer fröhlichen Stimmung werden negative Reize ausgeblendet und umgekehrt. Der Filter der jeweiligen Befindlichkeit färbt die gesamte Wirklichkeitserfahrung ein. Da Befindlichkeiten schwanken und instabil sind, erhält die nach Integrität und Gefasstheit strebende introvertierte Tendenz ständig verändernde Impulse, die intern austariert werden müssen.

Vielen Menschen fällt es schwer, negative Befindlichkeiten zuzulassen oder positive Stimmungen auch im Wissen um ihre Kurzfristigkeit zu genießen, weil sie im Sozialisationsprozess dazu angehalten wurden, ihre wechselnde Befindlichkeit zugunsten der Präsentation eines stabilen Charakters zurückzustellen. Gerade in der inneren Hingabe an vorübergehenden Befindlichkeiten entwickelt sich aber eine basale Empfindungsfähigkeit, die eine Voraussetzung für die Entfaltung von Selbstgefühl und Empathie ist (vgl. Kapitel 3.2). Subjektive, sich von innen aufdrängende Befindlichkeiten, ob leidvoller oder freudvoller Art sollten seltener als Störungen der bewussten Selbstdarstellung oder der reibungslosen Kommunikation interpretiert und unterdrückt, sondern als seelische Signale angenommen werden. Ein auf die spezifische Befindlichkeit abgestimmtes, animatives Potential von Design trägt dazu bei, diese Signale der introvertierten Tendenz besser zu deuten und auszuleben.

Beispiel für das animative Potential von Design

Im Streit zwischen der sogenannten Schulmedizin und der alternativen Medizin, geht es um die Definition von Gesundheit. Während die Schulmedizin durch Messverfahren das Befinden des Patienten ermittelt, fragt der alternative Arzt explizit nach dessen Befindlichkeit. Alternative Heilmethoden bleiben nicht am Körper fixiert. Sie regen auch eine Regeneration der Seele an. Vielfach werden heute beide medizinischen Richtungen angewendet, denn nicht der medizinische Richtungsstreit, sondern das Wohlbefinden des Patienten soll im Vordergrund stehen.

Ebenso müsste innerhalb der Designdisziplin umgedacht werden. Das Design technischer Produkte braucht nicht unbedingt mit einer kühlen, distanzierten Anmutung verknüpft zu sein. Diese häufig angestrebte Verbindung ist weder generell besser als andere Designansätze, noch muss sie zwangsläufig im Konflikt mit diesen stehen. Dies demonstrieren italienische Leuchtenhersteller mit ihren technisch ausgefeilten Konzepten für stimmungsvolle, der jeweiligen Befindlichkeit entsprechend variierbare Wohnraumbeleuchtung. Auch Wettbewerbsentwürfe für zukünftiges Wohnen integrieren Technik und animative Anmutung, indem sie große digitale Bildwände, deren Motive oder Farbmuster je nach Befindlichkeit programmierbar sind, vorschlagen.