Zum Kriterium der »Achtsamkeit« bezüglich der introvertierten Tendenz

Mit einer achtsamen Grundhaltung werden ständig Reizangebote registriert und auf die innere Wirklichkeit bezogen. Jede geringfügige Veränderung veranlasst zum Nachsinnen. Das Kriterium der Achtsamkeit als Bereitschaftshaltung der introvertierten Tendenz regelt noch vor dem Bewusstwerden den Zugang zum Innersten. Das gilt gegenüber Reizen die von außen kommen wie das freundliche Lächeln oder die Körpersprache eines Gesprächspartners, die Farbigkeit eines Plakats, die Düsterheit einer Bahnstation ebenso wie bezüglich der Reize, die von innen kommen wie Tagträume oder assoziative Phantasievorstellungen. Im Zustand der introvertierten Achtsamkeit geht das Gefühl für Zeit leicht verloren. Während die Zeit im inneren Empfinden verfliegt und übervoll scheint, kommt einem Beobachter das Verhalten eines achtsamen, introvertierten Menschen sehr langsam vor.

Ob ein Mensch in einem Moment achtsam oder unachtsam ist, hängt zum größten Teil von seiner inneren Verfassung ab. Jemanden aus einer unachtsamen, oberflächlichen Haltung herauszureißen, ist relativ schwer. Ein geeignetes gestalterisches Mittel hierfür sind auffällige Kontraste. Ästhetische Elemente erzeugen durch starke, mit dem Kontext kontrastierende Reize ein Wirkungspotential, das sich deutlich vom übrigen Reizangebot unterscheidet und dadurch wenigstens leichter Beachtung findet und die Chance erhöht, in die innere Wirklichkeit aufgenommen zu werden.

Beispiel für das animative Potential von Design

Balladen von Hard Rock Gruppen wirken deshalb besonders eindringlich, weil sie in deutlichem Kontrast zu dem Outfit und der üblichen Musik dieser Bands stehen. Eine ganzseitige Bildanzeige in der typografisch sehr zurückhaltend gestalteten FAZ scheint eher beachtenswert, als wenn sie auf einer Plakatwand positioniert wäre. Schwarzweiß gedrehte Werbefilme wecken die Achtsamkeit, weil sie irgendwie tiefsinniger zu wirken scheinen als das bunte Drumherum.

Gestalterisches Ziel sollte es nicht sein, Menschen kurzfristig aus ihrer Unachtsamkeit für die Qualität der inneren Wirklichkeit, sei es der eigenen oder der von anderen Menschen, durch schockierende Ästhetik aufzurütteln, sondern vielmehr mittels differenzierter ästhetischer Elemente dazu beizutragen, Achtsamkeit zu wecken, die langfristig bestehen bleibt und zur Stärkung des Selbst beiträgt. Die Werbekampagne der Firma Benetton (vgl. Toscani, 1996) fällt auf, weil sie mit den Gesetzen des Werbegenres kontrastiert und Anstöße für Diskussionen zu aktuellen Problemen gibt. Sie ist, in Ausklammerung der Diskussion um ihre Eignung zur Verkaufsförderung, ein Beispiel für die gelungene Verbindung von kurzfristigem Aufrütteln aus der Unachtsamkeit und langfristigem Aufrechterhalten der Achtsamkeit für die thematisierten Probleme durch gestalterische Mittel.

Designer sollten zudem ihre eigene Bereitschaft hinsichtlich der introvertierten Tendenz kritisch hinterfragen, um einerseits zu verhindern, dass sie sich unachtsam und oberflächlich gegenüber einer Thematik, die sie gestalterisch umsetzen wollen, verhalten oder sich andererseits zu achtsam für Unterschiede selbstverliebt in Details verlieren.